Reiseskizzen Italien – Buch gebraucht kaufen

3924963037

(ISBN-13: 9783924963033)

leichte Gebrauchsspuren

208

265 g

Taschenbuch

Deutsch

Ecken und Kanten kaum bestossen. Seiten und Buchschnitt kaum abgedunkelt. Guter Zustand.

Bildungsreisen?
Wer nach Bildung strebt, macht sich verdächtig. Er muß, so meint man, antiquiert sein, weltfremd, reaktionär. Man wagt kaum — nicht im Fernsehen, nicht in Zeitschriften, Vorträgen oder Ausstellungen — Gegenstände oder Zusammenhänge um ihrer selbst willen darzustellen, sie brauchen ein Alibi aus der Gegenwart:
Landesgeschichte des 18. Jahrhunderts — und ihre Auswirkungen heute.
Preußen — ein Prozeß.
Die Kunst des 18. Jahrhunderts — was sie heute bedeutet.
Bauhütten des Mittelalters — ihre soziologische Funktion aus unserer Sicht.
Vielleicht ist diese unermüdliche Entschuldigung für ein über das Heutige und Alltägliche hinausgehendes Interesse nötig, weil es nicht viele Menschen gibt, die Spaß daran haben, etwas zu wissen. Vielleicht hat man auch das unklare Gefühl, daß es ein unerlaubter Luxus sei, etwas zu lernen, das man nicht unmittelbar im täglichen Leben anwenden kann, etwas, das nicht nützlich ist im materiellen Sinne, etwas, das keinen greifbaren Zweck hat. Insofern sind Studienreisen wirklich Luxusreisen — und wir als Vermittler stets in einer mißlichen Lage.
Denn kann man durch Ägypten reisen, ohne die gegenwärtigen Beziehungen zu den übrigen arabischen Staaten zu erörtern? Kann man die Ruinen der Maya-Pyramiden erklären, ohne die Guerrilleros von heute zu erwähnen? Darf man im Tower von London Details aus der Geschichte Heinrichs VIII. erzählen und den monatelangen Streik der britischen Bergarbeiter vergessen? Eigentlich nicht. Aber wie lange sollen unsere Reiseleiter auf ihr Publikum einreden, wenn sie beides perfekt bieten wollen, Vergangenheit und Gegenwart, Tatsachen und deren mögliche Nutzanwendung?
Es wird immer so sein, daß der eine sich in der Vergangenheit besser auskennt, der andere mit minutiösen Informationen über die Gegenwart dienen kann. Viele werden versuchen, das eine schlecht und anderes recht zu machen. Eine Ideallösung gibt es nicht. Zumal alles, was man erläutert und erzählt, zwangsläufig Stückwerk bleibt. Denn noch fehlen die Pflanzen, von denen der beflissene Reiseleiter vielleicht drei kennt und die vierte nicht mehr. Noch fehlt die Geologie, von der er, wenn er nicht selbst Geologe ist, nur bei klugen Kunden schmarotzt hat. Und je breiter der Fächer des Wissens sich entfaltet, um so oberflächlicher muß hinwiederum die Einzelinformation ausfallen. Es bleibt letztlich Geschmackssache und wird im Urteil des einzelnen verschieden bewertet werden: Der eine ist begeistert, wenn er wenig, aber von allem etwas erfährt. Ein anderer möchte weniger, dies wenige aber lückenlos und gründlich.
Und jeder wird aufmerksam lauschen, wenn ein Reiseleiter über die gegenwärtige Situation eines Landes Informationen geben kann, die tatsächlich über Funk und Fernsehen hinausgehen. Daß das nicht leicht ist, nicht mal für einen Einheimischen, liegt auf der Hand. Und so läuft es schließlich doch auf eine »Studienreise« hinaus, die der »antiquierten« Bildungsreise ähnlich ist; aber doch nicht ganz mit ihr identisch.

1996

BN0603