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Neuguinea von alfred.Spitzley
aus der Sparte Länder und Reisen

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8.011 Die Bewohner Neuguineas
Autor/in: Lexikalwissen

Neuguinea ist nach Grönland die zweitgrößte Insel der Erde; ihre Länge entspricht ungefähr der Entfernung zwischen London und Moskau. Sie wird der Länge nach von einer Gebirgskette durchzogen, die über 5000 Meter Höhe erreicht; in dieser Gebirgskette gibt es viele breite Hochtäler, deren Sohlen 1500—3000 Meter über dem Meer liegen. Nördlich der zentralen Gebirgskette gibt es noch andere Bergländer, so daß ein großer Teil der Insel gebirgig ist. Die großen Flüsse, die die Gebirge entwässern, haben gewaltige Sümpfe und häufig überflutete Ebenen geschaffen.
Größe und Geländebeschaffenheit der Insel machen es verständlich, daß sie so viele Kulturen und Sprachen aufweist. Nach einer Schätzung gibt es auf Neuguinea, wo heute nur etwa drei Millionen Menschen leben, mindestens tausend verschiedene Sprachen und Dialekte. Die Unwegsamkeit des Geländes erklärt auch, warum so viele steinzeitliche Kulturen bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein lebendig geblieben sind.
Im westlichen Teil von Neuguinea hatten die Küstenbewohner schon lange Zeit Kontakte mit einigen der indonesischen Sultane gehabt, deshalb wurde er auch in das Kolonialreich Niederländisch-Indien eingegliedert. Im späten 19. Jahrhundert drängten die australischen Kolonien aus Angst vor unfreundlichen Nachbarn die britische Regierung, die Osthälfte teilweise oder ganz zu annektieren. Erst als die Deutschen sich im Nordosten der Insel, zunächst als Händler, dann als Kolonialherren niederließen, erklärte die britische Regierung 1884 den Südostteil der Insel zum Protektorat. Die Regierungen der Niederlande, Großbritanniens und Deutschlands legten dann 1884—85 für ihre Interessengebiete die Grenzen fest, die auf der Karte gerade Linien bilden und eine Insel teilten, deren Inneres noch völlig unbekannt war. Die Briten übergaben ihr Protektorat Papua schließlich dem neugegründeten Commonwealth von Australien, das 1914 auch Deutsch-Neuguinea übernahm.
Die Herkunft der Bevölkerung von Neuguinea war lange Zeit Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Offensichtlich hat irgendwann in der Vergangenheit eine starke Rassenmischung stattgefunden. Die Hautfarbe der Inselbewohner variiert von einem tiefen matten Schwarz, das alles Licht zu absorbieren scheint — man findet es in Su- ka -, bis zu einem sehr zarten Milchkaffeebraun im Gebiet von Port Moresby. Meist kann man schon innerhalb eines Dorfes beträchtliche Unterschiede feststellen. Hauptbestandteile der Bevölkerung sind Papua, Melanesier, die wahrscheinlich von den Neuen Hebriden gekommen sind, und Negritos (Pygmäen), die Südostasien sicher schon sehr früh besiedelt haben und von denen noch kleine Gruppen im Innern der dichten Bergwälder zu finden sind. Auch Mischungen mit frühen australischen Ureinwohnern, später auch mit Indonesiern, haben stattgefunden.
Die sprachlichen Verschiedenheiten in Zentral-Neugui- nea lassen vermuten, daß die Stämme ihr jeweiliges Gebiet schon sehr lange bewohnen und relativ isoliert gelebt haben. Durch archäologische Forschungen ist nachgewiesen, daß schon vor 10000 v. Chr. Menschen in den zentralen Hoch- 62 tälern gelebt haben. Die Küstengebiete und die Inseln vor
der Küste scheinen dagegen in relativ junger Vergangenheit von melanesisch sprechenden Gruppen besiedelt worden zu sein.
Trotz der großen Verschiedenheiten in Rasse und Sprache weisen die verschiedenen Gesellschaften gewisse gemeinsame Merkmale auf. Abgesehen von einigen Inseln, wie beispielsweise den Trobriand-Inseln, gibt es nirgends irgendeine Form von Häuptlingswürde oder erblichem Rang. Es besteht ein gewisses Ideal der Gleichheit, das sich in einem aggressiven Individualismus ausdrückt; zwischen den erwachsenen Männern besteht eine dauernde Rivalität um Prestige; jedermann wird nach seinen Leistungen beurteilt. Die politischen Einheiten sind klein, sie bestehen gewöhnlich aus einem einzigen Dorf oder in Teilen des Hochlands aus einer Gruppe verstreuter Weiler.
Praktisch besteht dauernd Kriegszustand, der nur von Perioden der Waffenruhe unterbrochen wird; im sozialen Gefüge sind nämlich Feinde ebenso wichtig wie Verbündete. Heiraten mit Angehörigen feindlicher Dörfer sind weit verbreitet, und die Teilnahme von Feinden am Zeremoniell und am Tausch ist oft entscheidend wichtig.
Die effektiven Führer dieser winzigen Republiken, die »Großen Männer«, verstehen es geschickt, ihr Prestige einzusetzen, um ihren Meinungen innerhalb der Gemeinschaft Gewicht zu verleihen. Mindestens teilweise rührt das Prestige eines »Großen Mannes« von seiner Verwandtschaft mit anderen — verbündeten oder feindlichen - Gruppen her.
Auf der ganzen Insel werden Rivalität und Aggression nicht nur durch Kampf ausgedrückt, sondern auch durch den Tausch von Schweinen, Ernteerzeugnissen und anderer Habe sowohl zwischen als auch innerhalb der Gruppen. Der große zeremonielle Austausch mit benachbarten Gruppen hat nur wenig wirtschaftliche Funktion, er dient hauptsächlich als riesige Zurschaustellung des Reichtums. Man beschenkt den Nachbarn unter vielen bombastischen Reden — und die Nachbarn wollen sich auch nicht lumpen lassen und machen Gegengeschenke. Das Prinzip bei einem derartigen Tausch ist das der Gleichwertigkeit; ein Individuum oder eine Gruppe, die unfähig ist, ebenso zu schenken, wie sie empfängt, gilt als unwürdig und hat sich in den Augen aller Teilnehmer blamiert. Die Produktion von Nahrung und die Schweinehaltung sowie der Erwerb von Wertsachen erhält so einen enormen Anreiz. Im Unterschied zu unserer Gesellschaftsordnung muß also in Neuguinea der einzelne, um Ansehen zu gewinnen, Güter und Reichtum nicht nur produzieren und sammeln, sondern auch wieder weggeben.
Die traditionellen Religionen von Neuguinea sind sehr verschiedenartig. Man glaubt jedoch allgemein, daß Geister und Ahnen das Schicksal der Menschen auf der Erde beeinflussen und daß sie für Erfolg und gute Ernte notwendig sind. Menschliche Geschicklichkeit wird hoch eingeschätzt, kann jedoch ohne Hilfe der Geister nicht viel ausrichten.
Das Leben nach dem Tode stellt man sich ähnlich dem irdischen vor; der Gedanke an eine Bestrafung für die Sünden auf der Erde lag den Eingeborenen vor der Begegnung mit dem Christentum fern. Die Religion befaßt sich vorwiegend mit irdischem Wohlstand; ansonsten liefert sie den Vorwand für höchst spektakuläre Zeremonien, besonders im Tiefland und in den Küstengebieten.
Die Zeremonien sind Anlaß zu Freudenfesten; sie sind ohne alle religiöse Geheimnistuerei, obwohl Opfer für die Geister und die Ahnen gewöhnlich eine wichtige Rolle spielen. Schnitzereien, Masken und riesige Zeremonialhäuser - alle von höchster künstlerischer Qualität — sind für die Kulte typisch. Die Ankunft der Europäer und ihre politische
Herrschaft, die Einführung des Geldes und die Arbeit der christlichen Missionare haben viel von dieser traditionellen Kultur zerstört. Der verzweifelte Wunsch, sich in der radikal veränderten Situation zurechtzufinden, kommt in den »Cargo-Kulten« zum Ausdruck; in Neuguinea wie im übrigen Melanesien glauben noch viele Menschen, daß die Bekehrung zum Christentum große Schiffe mit reicher Fracht (»Cargo«) zu ihnen bringen wird.
Neuguinea ist nach Grönland die zweitgrößte Insel der Erde; ihre Länge entspricht ungefähr der Entfernung zwischen London und Moskau. Sie wird der Länge nach von einer Gebirgskette durchzogen, die über 5000 Meter Höhe erreicht; in dieser Gebirgskette gibt es viele breite Hochtäler, deren Sohlen 1500—3000 Meter über dem Meer liegen. Nördlich der zentralen Gebirgskette gibt es noch andere Bergländer, so daß ein großer Teil der Insel gebirgig ist. Die großen Flüsse, die die Gebirge entwässern, haben gewaltige Sümpfe und häufig überflutete Ebenen geschaffen.
Größe und Geländebeschaffenheit der Insel machen es verständlich, daß sie so viele Kulturen und Sprachen aufweist. Nach einer Schätzung gibt es auf Neuguinea, wo heute nur etwa drei Millionen Menschen leben, mindestens tausend verschiedene Sprachen und Dialekte. Die Unwegsamkeit des Geländes erklärt auch, warum so viele steinzeitliche Kulturen bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein lebendig geblieben sind.
Im westlichen Teil von Neuguinea hatten die Küstenbewohner schon lange Zeit Kontakte mit einigen der indonesischen Sultane gehabt, deshalb wurde er auch in das Kolonialreich Niederländisch-Indien eingegliedert. Im späten 19. Jahrhundert drängten die australischen Kolonien aus Angst vor unfreundlichen Nachbarn die britische Regierung, die Osthälfte teilweise oder ganz zu annektieren. Erst als die Deutschen sich im Nordosten der Insel, zunächst als Händler, dann als Kolonialherren niederließen, erklärte die britische Regierung 1884 den Südostteil der Insel zum Protektorat. Die Regierungen der Niederlande, Großbritanniens und Deutschlands legten dann 1884—85 für ihre Interessengebiete die Grenzen fest, die auf der Karte gerade Linien bilden und eine Insel teilten, deren Inneres noch völlig unbekannt war. Die Briten übergaben ihr Protektorat Papua schließlich dem neugegründeten Commonwealth von Australien, das 1914 auch Deutsch-Neuguinea übernahm.
Die Herkunft der Bevölkerung von Neuguinea war lange Zeit Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Offensichtlich hat irgendwann in der Vergangenheit eine starke Rassenmischung stattgefunden. Die Hautfarbe der Inselbewohner variiert von einem tiefen matten Schwarz, das alles Licht zu absorbieren scheint — man findet es in Su- ka -, bis zu einem sehr zarten Milchkaffeebraun im Gebiet von Port Moresby. Meist kann man schon innerhalb eines Dorfes beträchtliche Unterschiede feststellen. Hauptbestandteile der Bevölkerung sind Papua, Melanesier, die wahrscheinlich von den Neuen Hebriden gekommen sind, und Negritos (Pygmäen), die Südostasien sicher schon sehr früh besiedelt haben und von denen noch kleine Gruppen im Innern der dichten Bergwälder zu finden sind. Auch Mischungen mit frühen australischen Ureinwohnern, später auch mit Indonesiern, haben stattgefunden.
Die sprachlichen Verschiedenheiten in Zentral-Neugui- nea lassen vermuten, daß die Stämme ihr jeweiliges Gebiet schon sehr lange bewohnen und relativ isoliert gelebt haben. Durch archäologische Forschungen ist nachgewiesen, daß schon vor 10000 v. Chr. Menschen in den zentralen Hochtälern gelebt haben. Die Küstengebiete und die Inseln vor
der Küste scheinen dagegen in relativ junger Vergangenheit von melanesisch sprechenden Gruppen besiedelt worden zu sein.
Trotz der großen Verschiedenheiten in Rasse und Sprache weisen die verschiedenen Gesellschaften gewisse gemeinsame Merkmale auf. Abgesehen von einigen Inseln, wie beispielsweise den Trobriand-Inseln, gibt es nirgends irgendeine Form von Häuptlingswürde oder erblichem Rang. Es besteht ein gewisses Ideal der Gleichheit, das sich in einem aggressiven Individualismus ausdrückt; zwischen den erwachsenen Männern besteht eine dauernde Rivalität um Prestige; jedermann wird nach seinen Leistungen beurteilt. Die politischen Einheiten sind klein, sie bestehen gewöhnlich aus einem einzigen Dorf oder in Teilen des Hochlands aus einer Gruppe verstreuter Weiler.
Praktisch besteht dauernd Kriegszustand, der nur von Perioden der Waffenruhe unterbrochen wird; im sozialen Gefüge sind nämlich Feinde ebenso wichtig wie Verbündete. Heiraten mit Angehörigen feindlicher Dörfer sind weit verbreitet, und die Teilnahme von Feinden am Zeremoniell und am Tausch ist oft entscheidend wichtig.
Die effektiven Führer dieser winzigen Republiken, die »Großen Männer«, verstehen es geschickt, ihr Prestige einzusetzen, um ihren Meinungen innerhalb der Gemeinschaft Gewicht zu verleihen. Mindestens teilweise rührt das Prestige eines »Großen Mannes« von seiner Verwandtschaft mit anderen — verbündeten oder feindlichen - Gruppen her.
Auf der ganzen Insel werden Rivalität und Aggression nicht nur durch Kampf ausgedrückt, sondern auch durch den Tausch von Schweinen, Ernteerzeugnissen und anderer Habe sowohl zwischen als auch innerhalb der Gruppen. Der große zeremonielle Austausch mit benachbarten Gruppen hat nur wenig wirtschaftliche Funktion, er dient hauptsächlich als riesige Zurschaustellung des Reichtums. Man beschenkt den Nachbarn unter vielen bombastischen Reden — und die Nachbarn wollen sich auch nicht lumpen lassen und machen Gegengeschenke. Das Prinzip bei einem derartigen Tausch ist das der Gleichwertigkeit; ein Individuum oder eine Gruppe, die unfähig ist, ebenso zu schenken, wie sie empfängt, gilt als unwürdig und hat sich in den Augen aller Teilnehmer blamiert. Die Produktion von Nahrung und die Schweinehaltung sowie der Erwerb von Wertsachen erhält so einen enormen Anreiz. Im Unterschied zu unserer Gesellschaftsordnung muß also in Neuguinea der einzelne, um Ansehen zu gewinnen, Güter und Reichtum nicht nur produzieren und sammeln, sondern auch wieder weggeben.
Die traditionellen Religionen von Neuguinea sind sehr verschiedenartig. Man glaubt jedoch allgemein, daß Geister und Ahnen das Schicksal der Menschen auf der Erde beeinflussen und daß sie für Erfolg und gute Ernte notwendig sind. Menschliche Geschicklichkeit wird hoch eingeschätzt, kann jedoch ohne Hilfe der Geister nicht viel ausrichten.
Das Leben nach dem Tode stellt man sich ähnlich dem irdischen vor; der Gedanke an eine Bestrafung für die Sünden auf der Erde lag den Eingeborenen vor der Begegnung mit dem Christentum fern. Die Religion befaßt sich vorwiegend mit irdischem Wohlstand; ansonsten liefert sie den Vorwand für höchst spektakuläre Zeremonien, besonders im Tiefland und in den Küstengebieten.
Die Zeremonien sind Anlaß zu Freudenfesten; sie sind ohne alle religiöse Geheimnistuerei, obwohl Opfer für die Geister und die Ahnen gewöhnlich eine wichtige Rolle spielen. Schnitzereien, Masken und riesige Zeremonialhäuser - alle von höchster künstlerischer Qualität — sind für die Kulte typisch. Die Ankunft der Europäer und ihre politische
Herrschaft, die Einführung des Geldes und die Arbeit der christlichen Missionare haben viel von dieser traditionellen Kultur zerstört. Der verzweifelte Wunsch, sich in der radikal veränderten Situation zurechtzufinden, kommt in den »Cargo-Kulten« zum Ausdruck; in Neuguinea wie im übrigen Melanesien glauben noch viele Menschen, daß die Bekehrung zum Christentum große Schiffe mit reicher Fracht (»Cargo«) zu ihnen bringen wird.

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8.012 Die Asmat in Neuguinea
Autor/in: Lexikalwissen

Von den Küsten im Südwesten Neuguineas erstrecken sich tropische Regenwälder weit über das flache Land. Ein grünliches Licht liegt über ihnen. Die zahlreichen Flüsse und Bäche suchen mühsam ihren Weg durch Bäume und Pflanzengewirr, während das Meer im gleichmäßigen Rhythmus von Ebbe und Flut die Grenzen zwischen Wasser und Land verwischt. Die Sumpfwälder an der Küste sind dem Auf und Ab der Gezeiten unterworfen, bei Flut stehen ihre Bäume im Brackwasser, und erst bei Ebbe wird der schlammige Boden sichtbar. Hier leben die Asmat. In die Abgeschiedenheit ihres Gebietes findet nur selten ein Besucher, denn es ist von der See aus kaum zugänglich, und auf der Landseite wird es von einer Kette schneebedeckter Berge geschützt. In der Asmat-Kultur spiegelt sich sowohl ihre Isolierung als auch das unvergleichbar Bedrückende ihres Lebensraumes wider.
In dem Waldschlemmland gibt es keine Steine. Sie haben ihre wenigen Steinäxte durch Tauschhandel mit den Hochlandstämmen erworben. Die Töpferei ist ihnen unbekannt, sie garen ihre Nahrung auf dem offenen Feuer. Das Ausgangsmaterial für die Kultur und das Handwerk der Asmat ist das in Fülle vorhandene Holz. Der Sago-Baum, eine Palmenart, ist nicht nur ihre Hauptnahrungsquelle, sondern auch ihr wichtigstes Rohmaterial. Für Häuser, Waffen für die Wildschweinjagd, Kanus, Paddel (sie fischen und fangen Krabben in den Flüssen) und natürlich auch für ihre Feuer sind sie gänzlich auf das Holz angewiesen.
Bei den Asmat ist der Baum ein Symbol für den Menschen: die Wurzeln entsprechen den Füßen des Menschen, der Stamm dem Körper, während die Früchte des Baumes ein Abbild des Kopfes sind. Diese Symbolik hat eine tiefe Bedeutung in ihrem Kult. Die Asmat sind Kopfjäger. Jedes früchtefressende Tier ist ein Sinnbild für ihre Lebensauffassung, und Vögel wie der schwarze Königskakadu und der Nashornvogel werden in Malereien und Schmuckwerk verehrt.
Die Gottesanbeterin hat einen ähnlich starken Symbolwert. Das Weibchen beißt häufig während oder sofort nach der Begattung dem Männchen den Kopf ab. Für die Asmat liegt hierin eine natürliche Rechtfertigung für die Kopfjagd. Doch sind die Asmat-Frauen die eigentliche Triebfeder, sie ermutigen und spornen ihre Männer zur Kopfjagd an und beschimpfen sie laut und öffentlich, wenn die Schädelsammlung der Familie zu klein ist. Die Köpfe stammen von Mitgliedern anderer Asmat-Stämme.
Mittelpunkt der Asmat-Kultur ist das Yeu-Zeremonien- haus, in dem alle Feste und Tänze der Dorfgemeinschaft abgehalten werden. Es wird auch häufig »Junggesellenhaus« genannt, weil die unverheirateten Männer und jungen Burschen den größten Teil des Tages hier verbringen. Ihre Dörfer sind meistens in Bezirke aufgeteilt, von denen jeder einzelne über ein eigenes Festhaus verfügt. Diese Häuser sind etwa 30 Meter lang und 6 Meter breit; sie müssen alle vier oder fünf Jahre neu errichtet werden, denn in dem regenreichen tropischen Klima verrottet die Holzkonstruktion schnell. Die Einweihung eines neuen Hauses ist mit festgelegten kultischen Riten verbunden.
Mit Ausnahme der Senioren der Hausgemeinschaft, den
(Links) Asmat-Männer aus einem benachbarten Klan stellen den Schlaf von Kindern dar. Dieses Ritual gehört zu der Zeremonie, die die Klans freundschaftlich verbindet.

Yeu-Häuptlingen, verlassen alle Männer das Haus und nehmen an den Tänzen auf dem Vorplatz teil. Innen wird ein riesiger, manchmal bis zu 3 Metern hoher zylindrischer Behälter vor dem Hauptherd aufgestellt. Jedes männliche Gemeinschaftsmitglied füllt nun Larven des Holzbocks in diesen Behälter, der den »Sago-Baum des Lebens« versinnbildlicht. Nun betreten die Frauen das Haus und tanzen um das Symbol, ihnen folgen die Männer. Im Anschluß an die Tänze schneidet ein Ehrengast oder ein besonders angesehenes Yeu-Mitglied den Palmblattbehälter auf, und die Larven entströmen in einem langen Zug. Die Vielzahl dieser Tiere ist ein Symbol für ein neues Leben, das dem »Lebensbaum« entspringt und die Gemeinschaft mit neuer Kraft erfüllt.
Die Frauen spielen auch eine große Rolle bei der Eingliederung von dorffremden Männern in die Gemeinschaft. Sie stellen sich in einer Reihe hintereinander auf, und die Aspiranten kriechen durch den von ihren Beinen geformten Tunnel. So erleben die Männer eine Wiedergeburt als neue Mitglieder der Gemeinschaft. Bei den Einweihungsriten des Yeu-Hauses versinnbildlicht der »Sago-Baum des Lebens« eine Quelle neuen Lebens, bei den Aufnahmeriten erfüllen die Frauen eine dem Lebensbaum ähnliche Funktion.
Dem Schöpfungsmythos der Asmat zufolge zeichnete ihr Halbgott Fumeripits den Umriß eines Hauses in den Küstensand und baute darauf das erste Yeu-Haus. Bald war es fertig, doch es war leer. Fumeripits begann nun, Menschenfiguren aus den Bäumen zu schnitzen, bis das ganze Haus voll davon war. Dann schnitzte er aus einem anderen Holzstück eine Trommel, und als er darauf spielte, kam Leben in die Figuren, und sie tanzten so wie die Asmat es noch heute tun. Ihre Füße waren leicht auseinandergestellt, ihre Knie wippten zum Rhythmus der Trommel, und sie bewegten sich in kleinen Schritten vorwärts. So war Fumeripits nicht nur der Schöpfer des Lebens, sondern auch der erste Holzschnitzer und der erste Trommler.
Fumeripits war auch der »Große Kopfjäger«. Nach
einem langen, grimmigen Kampf tötete er ein riesiges Krokodil, das versucht hatte, seine Schöpfung, das Yeu-Haus, zu zerstören. Er zerschnitt das Krokodil in Stücke und warf sie weg. Diesen Krokodilstücken entsprangen die verschiedenen Menschentypen: die Schwarzen, die Braunen und die Weißen. Dieser Mythos ist Ausdruck eines weiteren grundlegenden Merkmals der Asmat-Kultur: bei der Schöpfung des Lebens muß etwas zugrunde gehen. Der Tod ist eine Vorbedingung für das Leben. Hierin liegt die Begründung für das der Kopfjagd innewohnende Element der Fruchtbarkeit und der logischen Folge, den Kannibalismus, durch den die Lebenskraft des Opfers aufgesogen werden soll.
Die auffallendsten Holzschnitzereien der Asmat sind die »Bis«, die in Pfähle von Mangrovenholz geschnitzte Ahnengalerie. Der Tod einer bedeutenden Persönlichkeit oder eines Menschen, der wohlhabende Verwandte hat, wird in diesen Schnitzereien festgehalten; in einer gemeinsamen Feier werden Opfer gebracht, um den Tod des in dem »Bis« dargestellten Verwandten zu rächen. Die Asmat glauben,daß niemand eines natürlichen Todes stirbt; der Tod wird entweder durch einen tatsächlichen Kampf oder durch Zauberei herbeigeführt. Der geschnitzte Mangrovenstamm ist Sinnbild für zwei oder mehrere Ahnen und wird, nachdem er einige Zeit öffentlich aufgestellt war, in den Wald getragen, wo er verrottet. So werden seine übernatürlichen Kräfte das Wachstum der Sago-Bäume fördern.
Jeder Holzschnitzer, der eine menschliche Figur darstellt, wiederholt den mythischen Schöpfungsakt Fumeripits’. Dennoch weiß er, daß sich seine Figuren, wie gut sie auch immer gearbeitet sein mögen und wie lange er auch trommeln mag, nie in lebendige Wesen verwandeln werden. Das wissen auch die übrigen Asmat, die den heiligen Riten und Tänzen mit größter Inbrunst beiwohnen.
In jedem Dorf, ob groß oder klein, ist der Holzschnitzer jedem bekannt. Er unterscheidet sich von den übrigen Männern durch sein überdurchschnittliches Können. Er kann nicht nur Häuser, Waffen und Kanus bauen; wann immer die Dorfbewohner einen besonderen Wunsch haben, wie die Ausschmückung ihrer Schilde und Ruderblätter mit Ahnensymbolen oder die Anfertigung eines »Bis«, wenden sie sich an ihn. Der Auftrag wird formlos erteilt, und der Künstler läßt sich Zeit. Meistens erhält er Nahrungsmittel, Werkzeuge oder Tabak für seine Arbeit; aber sein eigentlicher Lohn ist der Ruhm.
Bis vor wenigen Jahren waren Steinäxte, die Zähne von Wildschweinen und anderen Tieren die einzigen Werkzeuge der Asmat; Austernschalen benutzten sie zur Bearbeitung von Oberflächen. Neuerdings verfügen sie auch über höher entwickelte Werkzeuge wie Stahläxte, Meißel aus abgeflachten Nägeln und Messer, die auf verschlungenen Wegen aus dem Hochland zu ihnen kommen. Die »Bis« sind gelegentlich auch schon an Weiße verkauft worden; und schon beginnen die Asmat, den greifbaren und direkten Lohn der weißen Männer mehr zu schätzen als die Kraft der Bis-Ahnen, die das Wachstum des Sago-Baumes förderten.

Bis zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts waren die stolzen, streitbaren Stämme im Gebiet des Sepik-Flusses den Europäern weitgehend unbekannt. Erst die Forscher vermittelten eingehende Kenntnisse über diese bemerkenswerten Menschen und ihre außerordentlichen künstlerischen Begabungen. Durch die Berührung mit den westlichen Siedlern, mit Geld und Handel sind jedoch ihre Traditionen, besonders an der Küste, stark verwässert worden.
Im Binnenland dagegen haben sich die alten Bräuche zu einem großen Teil erhalten, besonders im Volk der Abelam.
Ihr Wohngebiet ist das etwa dreißig Kilometer vom Sepik entfernte Hügelland. Hier sind die Lebensbedingungen weit härter als in den Flußniederungen, wo die Nahrung in Form von Fisch und wild wachsendem Sago nur aufgelesen werden muß. Die Yams-Kulturen der Abelam erfordern dagegen einen ständigen Arbeitseinsatz, und auch die Hausschweine, ihre Haupteiweißquelle, verlangen nach Futter.
Die Verfahren zur Erzeugung von Nahrungsmitteln sind daher hochentwickelt und mit festgelegten Ritualen und Zeremonien verbunden.
Die Abelam sind keine einheitliche Rasse; vor der Kolonialherrschaft neigten sie zu politischer Zerrissenheit. Ihre Dörfer sind mit 350 bis 1000 Einwohnern ziemlich groß. Jedes Dorf regiert sich selbst nach eigenen Gesetzen durch eine beratende Versammlung, die, wenn auch jeder Wort und Stimme hat, von dem Redegewandtesten beherrscht wird. Dieser einflußreiche Mann leitet alle wichtigen Aufgaben der Dorfgemeinde.
Seinem hohen Ansehen verdankt er den Titel »Großer Mann«. Doch muß er sich für die Aufrechterhaltung seines Status ständig aufs neue qualifizieren.
Grundlage der Gemeinschaft der Sepik-Männer scheint der fortwährende Kampf der durch einen starken Individualismus geprägten Männer um hohes Ansehen sowie um die aus diesem Ansehen entspringende Überlegenheit den übrigen Männern gegenüber zu sein. Die Männer tragen ein stolzes, streitbares Verhalten zur Schau und sind leicht in ihrer Würde gekränkt. Laute Streitereien sind häufig. Diese führten oft, als noch Kämpfe zwischen den Angehörigen der einzelnen Dörfer ausgetragen wurden, zu Gewalttätigkeit und Totschlag. Dagegen glichen die eigentlichen Schlachten zwischen den Dörfern eher einem Sportereignis; es gab nur wenige Verwundete oder Tote. Innerhalb eines Dorfes sind jedoch trotz des scheinbar gewalttätigen Gebarens der Männer tatsächliche Körperverletzungen selten, denn für jeden zugefügten Schaden muß eine Wiedergutmachung gezahlt werden. Die Gesellschaftsordnung der Abelam fordert sowohl Zügellosigkeit als auch Zurückhaltung. So werden Rivalitäten und Konkurrenzkämpfe innerhalb eines Dorfes im Rahmen des Erlaubten durch symbolische Kampfhandlungen oder, weit öfter, durch gegenseitige Übertrumpfung beim Austausch von Geschenken ausgetragen.
Der Yams-Kult ist ein Beispiel für den symbolisch ausgetragenen Wettstreit der Männer. Die Yamswurzeln sind eine bevorzugte Nahrung der Abelam; es gibt mindestens hundert Varietäten, die sie durch kluge Zuchtauswahl den verschiedenen Bodenarten angepaßt haben. Die südwestlichen Abelam weisen mit 80 Personen je Quadratkilometer eine hohe Bevölkerungsdichte auf. Sie kultivieren die zwar fruchtbaren, aber ständig von Überschwemmungen bedrohten Flußebenen, deren Grundwasserspiegel außerordentlich hoch und somit für die Yams-Kulturen denkbar ungünstig ist. Die Abelam haben es jedoch verstanden, eine wasserresistente Yams-Art mit großen Knollen, die »Asagwa«, zu züchten, mit denen sie den größten Teil ihres Bedarfs dek- ken können.
Die Abelam des nördlichen, hügeligen Gebiets bauen »Wapis«, besonders lange, dünne Yams an, die im Mittelpunkt ihres Kultes um männliche Fruchtbarkeit und Kraft stehen. Ihre Knollen werden gewöhnlich eineinhalb Meter lang; bei guten Sorten ist eine Länge von zweieinhalb Metern durchaus keine Seltenheit, doch wurden auch Überlängen von mehr als dreieinhalb Metern verzeichnet. Da die »Wapis« Grundlage des Phallus-Kultes sind, müssen bei ihrem Anbau viele Tabus und Rituale beachtet werden. Die erwachsenen Männer müssen sich vom Geschlechtsleben reinigen und mindestens sechs Monate lang, von den ersten Pflanzarbeiten bis zur Ernte, sexuell absolut enthaltsam leben; auch der Genuß von Fleisch ist ihnen untersagt. Die Yams werden in besonderen Anlagen angebaut, die nur von Männern betreten werden dürfen, die die Tabus beachten und durch magische Handlungen das Wachstum der Yams fördern. Die einzelnen Rituale werden in einer Hütte innerhalb der Anlage zelebriert. Sie ist gleichsam der Schrein für die Schädel der Vorfahren sowie für längliche Steine und Schnitzereien, die Ahnen, Naturgeister und Klan-Geister darstellen.
Das angestrebte Ziel ist immer die Erzeugung der längsten Yamsknollen. Zur Zeit der Ernte schmückt jeder seine schönsten Früchte mit Masken und anderem, den Geistern geweihtem Zierwerk, um sie dann bei einem großen Erntefest zu seinem eigenen Ruhm und dem des ganzen Dorfes auszustellen. Der Erzeuger darf seine eigenen heiligen Früchte weder essen noch anderweitig verwenden; er muß sie mit einem Partner austauschen. Jeder Partner mißt die Knollen des anderen mit Kerbhölzern; diese werden mehrere Jahre hindurch gesammelt und vermitteln so einen Überblick über die jeweilige Größe der Früchte. Im Hintergrund dieses Austausches steht der Wunsch, den Partner in der Größe der Früchte zu übertreffen und so die eigene Überlegenheit zu beweisen.
Der Konkurrenzkampf ist äußerst scharf; ein Mann, der mehrere Jahre hindurch die eigene Rekordleistung nicht wieder erreicht, verliert sowohl innerhalb wie außerhalb seines Dorfes schnell an Ansehen. Die Darreichung einer besonders großen Frucht kann aber auch noch eine Kampfesansage ausdrücken: Wenn ein Mann einen anderen des Ehebruchs mit seiner Frau verdächtigt, schenkt er seinem Nebenbuhler eine riesige Yamswurzel und deutet damit an, daß dieser wegen seiner allzu großen Neigung zum Geschlechtsleben wohl selbst keine Früchte von angemessener Größe ziehen könne und sich deshalb schämen müsse. Da der Yams-Anbau ein ständiger Ansporn für die Leistungsfähigkeit der Männer ist, sind seine Methoden ständig verbessert und von Generation zu Generation weitergegeben worden.
Der Yams-Kult verbietet den Frauen das Betreten der Yams-Gärten, denn die weibliche Sexualität ist eine Bedrohung für die Früchte. Die Trennung der Geschlechter, ein Merkmal vieler einfacher Gesellschaftsformen, ist in Neuguinea besonders ausgeprägt. Der Grund dafür ist in ihren Riten zu suchen. Man könnte fast sagen, daß es zwei sich einander ausschließende Kulturkreise gibt, nämlich den der Männer und den der Frauen. Die Männer neigen zu einem größeren Aufwand, während die Frauen auf den ersten Blick anspruchslos und sogar unterdrückt scheinen. Eine tiefergehende Kenntnis des Dorflebens offenbart jedoch, daß sich die Geschlechter gegenseitig ergänzen und voneinander abhängig sind. Die Männer glauben, daß die Frauen durch ihre Natur mit geheimnisvollen schöpferischen Kräften begabt sind, die sie selbst nur durch Ausübung von Ritualen und lästigen Tabus erlangen können.
Ein bedeutendes, ausschließlich den Frauen vorbehaltenes Ritual findet bei Eintritt der Menstruation statt. Zu diesem Zeitpunkt werden den jungen Mädchen an Brüsten, Bauch und Oberarmen Schnittwunden beigebracht, die narbig verheilen. Es sind Frauen, die in die Haut des Mädchens die Muster einschneiden, während ein Mann, ein Bruder mütterlicherseits, der bei den Abelam Mutterstelle einnimmt, das Mädchen festhält. Anschließend begeben sich die Frauen auf den Zeremonialplatz der Männer und üben ihre Rituale aus. Die Männer sind von dieser Zeremonie ausgeschlossen und können sich nur in endlosen Vermutungen über den angeregten, fröhlichen Lärm ergehen. Kahlköpfig und überreich aufgeputzt erscheint das Mädchen am nächsten Tag, dem ersten einer Zeitspanne von etwa sechs Monaten, in denen die neue Würde seiner Weiblichkeit gefeiert wird. In dieser Zeit verrichtet die angehende junge Frau keine Arbeiten; sie besucht die einzelnen Haushalte in ihrem Dorf und in den Nachbardörfem und wird mit Schmeicheleien und delikaten Speisen verwöhnt. Am Ende dieser Zeit stehen Heirat, Haushaltsführung, Geburten und die volle Anerkennung ihrer neuen Stellung als erwachsene Frau.
Für die Initiationsfeiem der jungen Männer stellen die Bewohner des Sepik-Flußgebiets außergewöhnliche Kunstwerke her. Bei diesen Feiern müssen die Initianden acht verschiedene Zeremonien durchlaufen, und für jede einzelne werden zahlreiche geschnitzte und bemalte Gegenstände als Symbol für die Grundwerte und Glaubenssätze ihrer Kultur verwendet. Damit werden die sowohl für den Initianden als auch für die Zuschauer wichtigen Beziehungen der Männer untereinander sowie ihr Verhältnis zu den Geistern betont. Die Zeremonien finden auf dem Tanzplatz, dem Treffpunkt der männlichen Dorfbewohner, statt, der gewöhnlich von einem Zeremonialhaus, dem Aufbewahrungsund Ausstellungsort der heiligen Bilder beherrscht wird.
Bei den einzelnen Zeremonien werden den Initianden die »Nggwalndu«, die Geister der patrilinealen Dorf-Klans, gezeigt, deren Gesichter zunächst an der unteren Hausfassade erscheinen. Dann werden sie in das Haus vor die angeblichen »Nggwalndu« geführt. Bei der nächsten Zeremonie wird ihnen jedoch erklärt, daß sie das letzte Mal in die Irre geführt worden seien, aber dieses Mal wirklich vor den Geistem stünden. Das geht so fort, bis ihnen bei der achten Zeremonie tatsächlich die riesigen »Nggwalndu«-Figuren gezeigt werden. Danach verlassen die für das Fest Verantwortlichen mit sorgfältig bemalten Körpern und anderem Schmuckwerk in feierlichem Zug das Zeremonialhaus, als ob sie selbst die Geister wären.
Diese Zeremonien haben ein beinahe weltliches Gepränge. Jeder hat seinen Spaß daran, ausgenommen vielleicht die Initianden selbst, die für die Besichtigung der Ausstellung leichte Schläge hinnehmen müssen. Tatsächlich werden nur wenige religiöse Handlungen vollbracht; zwar werden in Liedern die Geister angerufen und die Steine der Ahnen mit Nahrungsmitteln geschmückt, aber im ganzen scheint das Vergnügen im Vordergrund zu stehen, und bei dem nächtlichen Tanz beginnen viele Liebesgeschichten. Doch täuscht dieser Eindruck, denn die Vorbereitungsarbeiten für die Zeremonien haben schon Monate vorher begonnen, und jede Phase der Feier verläuft nach genau festgelegten Riten. Die Vorbereitung der Ausstellung ist in Wahrheit eine langsame Anhäufung übernatürlicher Kräfte, die bei der eigentlichen Feier frei werden.
Die letzte Phase der Vorbereitung, bei der die Schnitzereien, die Wandvertäfelungen für den Initiationsraum sowie andere Dekorationen bemalt werden, ist besonders heilig. Die Malphase beginnt für alle Teilnehmer mit der Reinigung vom Geschlechtsleben, das bis zur Beendigung der Malarbeiten tabu ist. Die Künstler lassen die alten Muster der Ahnen neu erstehen, und durch die Neuschöpfung dieser Muster mit gewöhnlichen, irdischen Farben werden auch die übernatürlichen Kräfte der Begründer der Zeremonien wieder erweckt und damit auch den Farben eine übernatürliche Kraft verliehen, die das Gelingen der Feier gewährleistet. Diese Farbe wird auch in die Haut der Initianden eingerieben, die so ebenfalls an den übernatürlichen Kräften teilhaben.
Aber jede Kraft erzeugt eine unheilvolle Gegenkraft. Während die Veranstalter und die vielen hundert Besucher aus befreundeten und verfeindeten Dörfern die Feierlichkeiten genießen, stellen sich zwei ältere Männer diesen übernatürlichen Gefahren entgegen. Bis zum Abbau der Ausstellung nach der nächsten Yams-Schau leben sie viele Monate lang völlig auf sich gestellt im Zeremonialhaus und beachten sehr strenge Tabus. So dürfen sie beispielsweise nur warmes, schmutziges Wasser und trockene und geröstete Yamswurzeln zu sich nehmen. Sie erscheinen auch bei der Feier, aber im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern tragen sie weder Gesichtsmasken noch sonstigen Schmuck; ihre Nacktheit wird lediglich von Asche bedeckt, und sie werden von allen anderen bespien, die so die ihnen möglicherweise durch ihren bloßen Anblick drohenden Gefahren von sich abwenden wollen. Niemand würde es auch wagen, sich mit ihnen gemeinsam ans Feuer zu setzen oder sie zu berühren.
Bei den südlichen Abelam treten die »Nggwalndu« mit einem überdimensionalen, prächtigen Feder-Kopfschmuck in Erscheinung. Sobald ein Mann diesen Kopfschmuck trägt, wird er selbst ein »Nggwalndu«. Der Federschmuck wird auf allen Malereien in Form eines roten Dreiecks über dem Kopf des abgebildeten Geistes dargestellt. Zu seiner Herstellung werden sämtliche Freunde und Verwandte auf- geboten, die die tausend und aber tausend Brustfedem kleiner Vögel auf einen Rahmen aus leichtem Rohrgeflecht aufstecken müssen. Nur einem außergewöhnlich einflußreichen Mann wird es gelingen, all die benötigten Federn zu beschaffen. Der mit den Federn geschmückte Rahmen wird von einem »Mast« von etwa siebeneinhalb Metern Höhe überragt, der ebenfalls mit Federn verziert ist. Der ganze Aufbau wird an aufgespaltenen, in das Haar des Trägers eingenähten Ringen so befestigt, daß das gesamte Gewicht auf dem Kopf des Trägers ruht. Das Tragen dieses gewaltigen Kopfschmucks verlangt nicht nur große Geschicklichkeit, sondern auch Kraft. Der Träger kann das Gleichgewicht nur durch kurze, schnelle Vorwärts- und Rückwärtsschritte halten — eine waagerechte Stange am unteren Teil des Kopfschmucks gibt ihm dabei eine leichte Hilfe, doch eigentlich wird der Mann von seinem Schmuck gehalten und nicht umgekehrt.
Einer der erstaunlichsten Aspekte der Sepik-Kulturen ist die große Anzahl, in der die für sie typischen Kult- und Kunstgegenstände angefertigt werden. Dies muß wohl vor allem der Tatsache zugeschrieben werden, daß die Träger dieser Kulturen ungeachtet ihrer althergebrachten Steinwerkzeuge und der einfachen Techniken so wirksame Methoden zur Ausnutzung ihres Lebensraumes entwickelt haben, daß ihnen für die ständig neue Prachtentfaltung noch genügend Zeit und auch Kraft bleibt. Diese Menschen glauben aber daneben, daß die Zeremonien für ihr Wohlergehen unbedingt erforderlich sind.

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8.013 Die Jale im Hochland Neuguineas
Autor/in: Lexikalwissen

Die Jale leben östlich des Baliem-Tals im Hochland von Neuguinea. Sie sind ein kriegerisches Volk, das ständig in blutige Schlachten verwickelt ist. Die Feindseligkeiten richten sich gegen Nachbarn im eigenen Dorf, gegen andere Dörfer oder weit entfernt liegende Siedlungen. Manchmal beherrschen sie das Leben einer ganzen Generation, auch wenn lange Perioden des Waffenstillstands die Kampfeshandlungen immer wieder unterbrechen; sie können aber auch an einem einzigen Tag beigelegt werden. In Zeiten relativer Kriegsruhe ziehen Spähtrupps umher, die gnadenlos ihre spitzen Pfeile auf einen verblüfften Gegner abschießen oder ein Dorf ihrer Belagerung aussetzen. Tabus begrenzen zwar die Zahl der Todesfälle, doch ist der Leichnam weiteren Greueltaten ausgesetzt — denn die Rache der Jale wird erst durch den Genuß des Fleisches eines erschlagenen Feindes befriedigt.
Nach einer Erkenntnis des Ethnologen ist in einer Gesellschaft, in der die Knaben in enger Verbindung mit der Mutter ohne männlichen Einfluß, besonders ohne den des Vaters aufwachsen, immer ein hoher Grad an Gewalttätigkeiten zu beobachten. Andere Forschungen haben ergeben, daß in Gesellschaftsordnungen, die auf kleinen, politisch relativ unabhängigen Sippen basieren, Konflikte durch tätliche Auseinandersetzung gelöst werden. Beide Thesen finden bei den Jale ihre Bestätigung.
Erstens leben die Knaben vor der Initiation abseits von der Gemeinschaft des Männerhauses in einer ausschließlich weiblichen Umgebung. Zweitens sind die einzelnen Gruppen eines Dorfes nicht einer allgemein gültigen Ordnung unter Führung eines Häuptlings unterworfen. Gemeinsame Aufgaben sehen sie nur in der Verteidigung gegen einen äußeren Feind. Diese Faktoren begründen, zumindest teilweise, die Kriegslust und die Gewalttätigkeit der Jale
Eine einleuchtende Erklärung für den Kannibalismus gibt es noch nicht; sie wird auch schwerlich aus der Sicht westlicher Weltbilder gefunden werden. In einem Reisebericht eines Missionars heißt es: »Als ein Europäer einem Kannibalen einmal bedeutete, daß demjenigen, der menschliches Fleisch genießt, Verachtung gebühre, wurde ihm folgende Antwort zuteil: Warum denn, ihr eßt Geflügel, Rind- und Hammelfleisch, die alle von Tieren der niedersten Art kommen. Wir dagegen essen Menschen, die groß und über alles erhaben sind. Euch gebührt die Verachtung!«
Bei den Jale kann das Töten eines Menschen als Vergeltung eines Verbrechens blutige Fehden zur Folge haben. Als Verbrechen gilt Ehebruch, Diebstahl oder das Versäumnis, eine Entschädigung für die Tötung eines Menschen, zum Beispiel in Form eines Schweines, zu entrichten. Eine einflußreiche Sippe kann jedoch eine solche Sühne ablehnen, wenn der Tote ein Verwandter war. Überhaupt wird ein Verhandlungsfrieden meistens nur dann geschlossen, wenn die Gegner in demselben Dorf wohnen und von einem gemeinsamen, äußeren Feind bedroht werden.
Kriege werden nicht um der Landgewinnung noch um der Unterdrückung politischer oder religiöser Anschauungen willen geführt. Sie sind eher ein Racheakt für ein Unrecht, das einem Mann oder einem Angehörigen seiner Sippe widerfahren ist, und beginnen meistens mit einem Überfall auf ein Mitglied des »verbrecherischen« Klans. Der Rechtsstreit der Parteien wird auf beiden Seiten von einem »Mann vom Stamme des Pfeiles« aufgegriffen. Diese Männer rufen ihre jeweiligen Klans zum Krieg auf und sind infolgedessen für alle Todesfälle bei ihren Anhängern — ganz gleich, ob sie auf dem Schlachtfeld oder durch einen Hinterhalt ums Leben kommen - verantwortlich.
Die Dauer des Krieges hängt von dem Ergebnis der ersten Begegnung der feindlichen Parteien ab, aber auch von der Entfernung ihrer Dörfer. Wie dem auch sei, die Kampfhandlungen werden bei den Jale häufig unterbrochen, doch sind beide Parteien auch während der Waffenruhe ständig bereit, einen Überraschungsangriff zurückzuschlagen. Ein Waffenstillstand wird meistens nach einigen Wochen Kriegsdauer durch eine drohende Hungersnot erforderlich.
In solchen Zeiten dringen kleine Gruppen von Sippen, deren Tote auf dem Schlachtfeld nicht gesühnt wurden, in das Gebiet des Feindes ein. Nach erfolgreich vollzogener Rache kehren sie mit einem Beuteschwein zurück.
Die Schlachtordnung wird dem Zufall überlassen; ihre Taktik ist auf Schießen und Fliehen beschränkt. So stößt ein Krieger nur so weit gegen die feindlichen Linien vor, als das Gelände Deckung bietet. Dann schießt er ein oder zwei Pfeile ab und läuft schnellstens zurück, um der Vergeltung des Feindes zu entgehen. Ist eine Partei bis in ihr Dorf zurückgeschlagen worden, wird der Kampf hinter Hütten und Zäunen weitergeführt. Wenn eine solche Invasion bevorsteht, verlassen Frauen und Kinder das Dorf und suchen bei Freunden und Verwandten in anderen Orten Schutz.
Letzte Zufluchtsstätte für die geschlagenen Krieger ist das Männerhaus, das durch ein Tabu vor Brandstiftung geschützt ist, während die siegreiche Partei die Hütten der Dorfbewohner plündert und in Brand setzt. Nach einer solchen Niederlage gibt der Verlierer sein Dorf auf und der Krieg ist vorbei. Aber die Feindseligkeiten schwelen bis zu einer formellen Friedensfeier weiter. Der Vorbereitung einer solchen Feier, zu deren Riten das Schlachten und der Verzehr eines Schweines gehört, dienen sich oft über Jahre hinziehende, formlose Gespräche zwischen Unterhändlern, die auf beiden Seiten Verwandte haben. Danach besiegeln Tänze und der ausgiebige Austausch von Schweinen das Ende des Krieges.
Kannibalismus wird normalerweise bei Kriegen zwischen Nachbardörfem oder in demselben Tal nicht geduldet. »Ein Mensch, dessen Gesicht bekannt ist, darf nicht gegessen werden«, sagen die Jale und betrachten die wenigen Male, bei denen diese Regel durchbrochen wurde, als tragischen Irrtum. Sind die kriegführenden Dörfer dagegen durch Bergketten voneinander getrennt, so sehen sie den Kannibalismus als unerläßlichen Bestandteil des Kriegsgeschehens an. Überregionale Kriege dauern auch meistens länger als lokale Konflikte und unterliegen einer anderen Taktik. Die offene Schlacht wird möglichst vermieden. Stattdessen überfallen Stoßtrupps einsame Jäger oder Frauen, die auf den Feldern arbeiten. Die geographische Entfernung begünstigt auch die Zuverlässigkeit militärischer Bündnisse, die im Vergleich zu den dauernden Umschichtungen der durch Sippschaft und Handel bedingten Verbindungen innerhalb der Dörfer viel dauerhafter sind.
Der Kannibalismus hat schon viele Forscher beschäftigt. Aristoteles schrieb ihn bei den Stämmen rund um das Schwarze Meer einer wilden Bestialität und krankhaften Wollust zu. Noch heute wird manchmal behauptet, daß die Ablehnung des Kannibalismus der erste Schritt zur Entwicklung einer Kultur ist. Man weiß heute über seine sozialen Hintergründe noch ebenso wenig wie über seine Bedeutung als Nahrungsquelle. Nur wenige Völkerkundler konnten Forschungen über den Kannibalismus anstellen, bevor Missionare und Regierungen der Kolonialmächte diese Sitte ausrotteten. Die verworrenen Deutungen des Kannibalismus spiegeln das Vorurteil westlicher Kulturen wider. Bei den Jale hat der Kannibalismus sowohl für die Ernährung als auch für den Kult Bedeutung. Er gilt als höchster Racheakt, wenn das sonst in ihrer Kultur erlaubte Maß von Aggression und Vergeltung überschritten wird.
Die kleinsten Siedlungen der Jale weisen zwei Dutzend, die größten weit über hundert Hütten auf. Die Hütten bestehen aus kreisförmig angeordneten Brettern. In ihrer Mitte stehen vier Pfähle, die das kegelförmige Dach aus mit Pflanzenranken verknüpften Pandanusblättem oder Kasuarina- rinde tragen. Als Eingang dient eine rechteckige mit ein oder zwei Brettern zu verschließende Öffnung. Etwa dreißig bis sechzig Zentimeter über der Erde liegt der Fußboden, darüber, in einer Höhe von etwa neunzig Zentimeter bis ein Meter fünfzig ist eine Plattform als Schlafgelegenheit eingezogen. Beide »Etagen« verfügen über eine zwischen den Stützbalken eingebaute Feuerstelle.
Alle Dörfer, mit Ausnahme der kleinsten, sind in Bezirke eingeteilt. Zu diesen gehören je ein Männerhaus und eine 84 Anzahl kleinerer Hütten, in denen die verheirateten Frauen,
ihre unverheirateten Töchter und ihre noch nicht initiierten kleinen Söhne wohnen. In einer Vielehe können die Nebenfrauen gemeinsam einen Haushalt führen, doch meistens leben sie in einer eigenen Hütte. Das Männerhaus, auch »Heiliges Haus« genannt, dient allen initiierten Männern als Wohnstatt. Als Mittelpunkt des kultischen Lebens ist es für alle Frauen sowie für die Knaben tabu.
Der Ackerbau der Jale ist durch Wechselwirtschaft gekennzeichnet: ein dem Walde abgerungenes, bebautes Feld wird erst nach einer längeren Periode der Brache, in der es von Buschwerk überwuchert, wieder bestellt. Wie andere Bewohner des Hochlands von Neuguinea bebauen die Jale ihre Felder hauptsächlich mit Süßkartoffeln, die etwa achtzig Prozent ihrer Pflanzennahrung stellen. Der Rest setzt sich aus Taro- und Yamsknollen sowie verschiedenen halbwild- und wildwachsenden Pflanzen wie Kräutern, Hirse, Rohrzucker, Bananen, Gurken, Farnen und Pandanus zusammen. Halbwild- oder wildwachsende Pflanzen liefern auch den Penisschutz der Männer, den Hüftschurz der Frauen und das Garn zur Herstellung von Netzen. Bambusholz wird als Wasserbehälter verwendet, Pandanus zu Regenhauben und Matratzen verarbeitet, Schilfrohr zu Pfeilschäften, Holz zu Pfeilspitzen, Grabstöcken und Beilgriffen, während Pflanzenranken für alle Flechtarbeiten sowie für die Herstellung der Brustschilde und der Faserkleidung für die Männer dienen.
Die Frauen fangen Insekten, Eidechsen, Mäuse und Frösche, die Männer machen dagegen Jagd auf Vögel, Fledermäuse und kleine Säugetiere wie Baumkänguruhs, Kuskuse und Riesenratten. Die Zubereitung der Speisen ist von den Nahrungsmitteln abhängig; die Jale dämpfen sie auf heißen Steinen in Erdöfen oder in Bananenblätter eingewickelt, garen sie in heißer Asche oder braten sie am offenen Feuer. Genaue, durch rituelle Strafmaßnahmen gegen jeden Verstoß erhärtete Vorschriften regeln, welche Speisen Frauen und Männer zu sich nehmen dürfen. Diese Vorschriften können das ganze Leben hindurch gelten, andere kommen nur bei besonderen Gelegenheiten oder Perioden wie nach der Initiation der Knaben oder nach Eintritt der ersten Menstruation bei den Mädchen zur Anwendung.
Als Haustiere halten die Jale Hunde, die jedoch nur selten zur Jagd ausgebildet werden, und Schweine. Das Schwein ist nicht nur Nahrungsquelle und Handelsobjekt, sondern dient auch als Bekräftigung aller bedeutenden, gesellschaftlichen Abmachungen. Bei jedem schwerwiegenden Ereignis im Leben eines Menschen, bei der Beilegung von Streitigkeiten oder der Besiegelung eines Friedensvertrags ist der Austausch von Schweinen unerläßlich.
Die Kinder der Jale verbringen ihr erstes Lebensjahr in engstem körperlichen Kontakt mit der Mutter, tagsüber hängen sie in einem Netz an ihrem Rücken und zur Schlafenszeit kuscheln sie sich in ihre Arme. Erst gegen Ende des vierten Lebensjahres werden sie entwöhnt und beginnen selbständig umherzulaufen. Wenn auch die Knaben schon nach Erreichen des siebenten oder achten Lebensjahres immer weniger Zeit mit ihren Müttern und Schwestern verbringen, erleben sie doch erst im Alter von elf bis dreizehn Jahren, wenn sie durch die Initiationsfeier ihren Müttern entrissen und in das Männerhaus eingegliedert werden, die bedeutendste Veränderung ihres Lebens. Von diesem Zeitpunkt an werden sie nur noch von den älteren Mitgliedern der Hausgemeinschaft unterwiesen und verfügen mit fünfzehn oder sechzehn Jahren über beträchtliche Kenntnisse in Feldbau, Jagd und Handwerk. Bei den Mädchen bezeichnet bei Eintritt der ersten Menstruation im Alter von siebzehn bis neunzehn Jahren eine kurze rituelle Feier das Ende der Entwicklungszeit.
Vor der ersten Menstruation ist jedem Mädchen der Geschlechtsverkehr untersagt. Die Knaben dagegen hält die Überzeugung, ihrer Vitalität durch Geschlechtsverkehr im Jünglingsalter entscheidenden Schaden zuzufügen, davon ab, vor der Geschlechtsreife sexuelle Beziehungen zu suchen. Da die meisten Mädchen schon vor Eintritt der Menstruation heiraten und andererseits der Geschlechtsverkehr mit einer verheirateten Frau das Risiko einer schweren Bestrafung durch den betrogenen Ehemann birgt, haben die jungen Männer vor ihrer Verheiratung wenig Gelegenheit zu sexueller Betätigung. Im Eheleben selbst werden ihnen aber ebenfalls starke Beschränkungen auferlegt: nach Eintritt einer Schwangerschaft darf der Ehemann bis rund vier Jahre nach der Geburt des Kindes nicht mehr in der Hütte seiner Frau schlafen - ein Tabu, das eine wirksame Geburtenkontrolle gewährleistet.
Die Jale glauben, daß jeder Mensch einen seelenartigen Geist besitzt, dessen Wachstum und Niedergang sich den veränderlichen Körperbedingungen anpaßt und der bei Eintritt des Todes den Körper verläßt. Um sicher zu gehen, daß sich der Geist tatsächlich von dem Körper trennt, befolgen sie besonders bei der Verbrennung des Leichnams festgelegte Rituale. Nur die Geister eines durch Gewalteinwirkung Verstorbenen flößen ihnen Furcht ein. Die Medizinmänner können jedoch solche bösen Geister durch die Zauberkraft ihrer Rituale besänftigen.
Die Jale sind in zwei Heiratsklassen eingeteilt; Eheschließungen zwischen Angehörigen derselben Klasse sind tabu. Jeder gehört aber auch einer Sippe an, die ihm den Nachnamen gibt. Name und Heiratsklasse werden durch die Abstammung des Vaters bestimmt. Und wenn auch viele Jale mit demselben Nachnamen in den verschiedensten Gebieten leben, glauben sie dennoch, von einem gemeinsamen Vorfahren abzustammen.
Initiation und Heirat sind in der Gesellschaftsordnung der Jale sich ergänzende Vorgänge. Wenn ein Mädchen heiratet, verläßt es ihr Geburtshaus, um in der Sippe ihres Mannes zu leben. Da ihre Kinder dem Geschlecht ihres Mannes angehören, geht ihre Gebärfähigkeit ihrer eigenen Familie verloren. Durch die Aufnahme eines Knaben in das Männerhaus wird seine Mitgliedschaft in seiner Familie bestätigt. Derartige Schritte finden durch den Austausch von Schweinen ihren symbolischen Ausdruck. Wenn ein Mann der Sippe seiner Frau ein Schwein überreicht, besiegelt er damit seine Heirat. Ebenso wird die Zugehörigkeit eines Initianden zu seiner eigenen Sippe durch das Geschenk eines Schweines an die mütterliche Linie bekräftigt.

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8.014 Die Bewohner des Asaro-Tals in Neuguinea
Autor/in: Lexikalwissen

Eine knisternde Atmosphäre umgibt den Menschen im Tal des Asaro...
Da - durch das friedlich in der Nachmittagssonne liegende Dorf läuft plötzlich ein Mann mittleren Alters Amok. Er hat den Gast bemerkt und fordert ihm alles ab, was sein Auge erspäht: eine Schüssel, etwas Seife, ein Messer. Der Gast tut gut daran, ihm alles zu geben. — Dieser plötzliche Ausbruch eines sonst normalen Menschen ist bei den Gururumba im oberen Asaro-Tal, Neuguinea, häufig. Das »wilde Schwein« verlangt mit allem Ingrimm die verschiedensten Gegenstände, die ihm auch ohne Zögern gegeben werden. Ist sein Sack mit hölzernen Pfeilspitzen, Gamschnüren, Tabakblättern, Seife, Stoffstücken, Messern, Seilen, Tellern gut gefüllt, entschwindet der Mann in den Wald. Nach einigen Tagen kehrt er ohne seine Schätze zurück. Er hat sie alle vernichtet, verbrannt oder an einem geheimen Ort vergraben. So von seinen inneren Spannungen befreit, nimmt er das normale Leben wieder auf. Niemand beschimpft oder tadelt ihn; sein seltsames Benehmen ist vergessen. Doch nur zu bald wird ein anderer Mann — niemals eine Frau — zum »wilden Schwein«.
Dieses Verhalten hat seinen Ursprung in dem »Materialismus« der Gururumba. Ihr Empfinden und ihre sozialen Bindungen werden fast ausschließlich vom Tauschhandel bestimmt. Dabei sind die Dinge an sich und der wirtschaftliche Aspekt des Tauschmarktes gar nicht so wichtig. Bedeutungsvoll ist dagegen die bloße Beschäftigung mit der Ausstellung und dem Tausch der Waren. Dabei werden eingegangene Verpflichtungen abgebaut und neue Beziehungen angeknüpft. Wird jedoch ein Mann zum Schuldner, so erzeugt das Spannungen in ihm, ihn quält seine Unfähigkeit, die Tauschbedingungen ztl erfüllen. Er bricht aus und rächt sich, indem er alle möglichen Dinge anhäuft und zerstört. Darin findet er seine Bestätigung: er ist wieder ein Mann.
Nachbarn der Gururumba weisen ein ähnlich dramatisches Verhalten auf. Das Dorf Kiminivi, ebenfalls am Asaro gelegen, ist Schauplatz des »Schlamm-Männer-Rituals«, dem sich die Dorfbewohner mit echtem Vergnügen und wohl auch Erfindergeist hingeben. Dieses Ritual soll von
einer Kriegslist vergangener Zeiten herrühren: als Kiminivi einmal von einem stärkeren Gegner schwer bedrängt wurde, sahen die Bewohner in der Verkleidung als Geister ihre einzige Rettung. Daher bedeckten sie Körper und Gesicht völlig mit Schlamm und verbargen so ihre menschlichen Züge. Nun gingen sie gegen den Feind vor - mit Erfolg, der Feind wurde in Panik versetzt und massakriert. Eine weniger romantische Version behauptet, der Schlammtanz wurde 1960 bei einem Wettstreit der Stämme aus Anlaß einer Landwirtschaftsschau bei Goroka erfunden.

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8.015 Die Dani Kurelu in Neuguinea
Autor/in: Lexikalwissen

In den schneebedeckten Bergen von West-Irian fließt der Baliem-Fluß eine Strecke unter der Erde, um sich dann hinter einem Gebirgswall in das 16 Kilometer breite und 80 Kilometer lange Große Tal zu ergießen. Hier wohnen etwa 75000 Menschen, die der Dani-Sprachgruppe angehören, unter ihnen der Kurelu-Stamm. Die meisten Bewohner dieses Tals liegen in ständigem Streit und sind meist in Kriege gegeneinander verwickelt, oft sogar mit ihren engsten Nachbarn. Das hat andererseits aber auch zur Folge, daß die Gemeinschaftsbindung innerhalb der Stämme sehr eng ist. Die Kämpfe werden in sportlichem Geist und nach strikt eingeIn den schneebedeckten Bergen von West-Irian fließt der Baliem-Fluß eine Strecke unter der Erde, um sich dann hinter einem Gebirgswall in das 16 Kilometer breite und 80 Kilometer lange Große Tal zu ergießen. Hier wohnen etwa 75000 Menschen, die der Dani-Sprachgruppe angehören, unter ihnen der Kurelu-Stamm. Die meisten Bewohner dieses Tals liegen in ständigem Streit und sind meist in Kriege gegeneinander verwickelt, oft sogar mit ihren engsten Nachbarn. Das hat andererseits aber auch zur Folge, daß die Gemeinschaftsbindung innerhalb der Stämme sehr eng ist. Die Kämpfe werden in sportlichem Geist und nach strikt eingehaltenen Regeln geführt. Der Ausgang eines Kampfes ist für beide Seiten nur dann befriedigend, wenn die Verluste ausgeglichen sind.
1961 lebten von den Dani-Stämmen nur noch die Kurelu in relativ starker Abgeschlossenheit von der Außenwelt. Sie sind ein Menschenschlag von guter Statur, dessen Hautfarbe vom hellen Braun bis nahezu zum Schwarz variiert. Die Hauptbedeckung des Mannes ist die Penisscheide, ein verlängerter Kolben, der oft senkrecht bis zu den Schultern reicht und mit einem Faden aus Fasern an der Brust festgebunden wird. Häufig sind Verzierungen aus Fellquasten, Bändern aus gewebter Faser oder eine elegante Locke an der Spitze angebracht. Die Scheiden dienen als Schutz im Kampf, stellen aber auch eine Art Fruchtbarkeitssymbol dar. Als modischer Schmuck und zur Demonstration des persönlichen Wohlstandes wird auch ein Schürzenlatz aus Kaurischnecken getragen. Die Jungen beginnen mit sechs Jahren die Penisscheide zu tragen, gewöhnlich jedoch nur als symbolisches Requisit, das von der Hüfte herabhängt.
Die Mädchen sind ab dem Alter von vier Jahren mit Bin- senröckchen bekleidet, die verheirateten Frauen mit einem losen Rock aus Faserringen, den der Ehemann hergestellt hat. Eine wirksame Bedeckung, die selbst von kleinen Mädchen getragen wird, besteht aus einer Reihe von einander überlappenden Netzen, die von einem Kopfband an der Stirn herabhängen. Eine Frau kann darin eine Ladung Gemüse, ein kleines Schwein oder ein Baby, das an der Hüfte seiner Mutter schaukelt, unterbringen.
Alte Männer verwenden kleine Netzbeutel, die sie über die Schulter hängen, um ihre Habe damit zu transportieren. Die jungen Männer schieben ihre Werkzeuge in Armbänder, um die Hände für die Waffen frei zu haben. Die Bewaffnung besteht aus einem Speer von Lorbeer- oder Myrtenholz oder einem 1,20 Meter langen Bogen, der ebenfalls aus Lorbeerholz oder aus Waldrhododendron geschnitten ist. Die Hartholzpfeile, die nur wenig kürzer als der Bogen sind, bleiben ungefiedert, wodurch ihre Fluggenauigkeit beeinträchtigt ist. Die Spitze eines Kriegspfeils ist mit Widerhaken aus Feuersteinsplittern versehen, was das Herausziehen aus der Wunde erschwert; die Basis der Spitze ist außerdem sorgfältig verdünnt, so daß der Vorderteil in der Wunde leicht abbricht. Jagdpfeile haben klobige, gegabelte Spitzen. Die übrigen Werkzeuge der Dani sind einfach: Grabstöcke für die Felder, gespaltene Stöcke und Rohrstöcke, die zum Feuermachen verwendet werden, Zeremonienbüschel aus Kasuarfedern und Stöcke mit Reiherfedern, die in der Schlacht mitgeführt werden, sowie Steinäxte und Beile für alle Zwecke.
Der Kurelu-Stamm, der auf einem rund 75 Quadratkilometer großen Gebiet im Nordosten des Tales lebt, trägt seinen Namen nach Kurelu, dem bedeutendsten Führer (in der Danisprache kain). Die Führerschaft ist nicht erblich; sie hängt von den Leistungen eines Mannes im Krieg, von seinem Reichtum oder seiner allgemeinen Geschicklichkeit ab. Aber hierdurch erwirbt er keine Macht, sondern lediglich die Möglichkeit zur Einflußnahme. Die Kurelu sind starke Individualisten. Ein Feigling (kepu), kann möglicherweise zwar seine Frauen und Schweine einbüßen, weil er sie nicht vor Angreifern verteidigen kann, wird aber in keiner Weise sozial diskriminiert; er kann sogar trotzdem zu großem Ansehen gelangen.
Die Dani leben polygam; die Männer haben so viele Frauen, wie es ihnen ihr Reichtum gestattet. Die Kinder haben meist keine engen Bindungen zu ihren leiblichen Eltern. Sie verbringen häufig den größten Teil der Zeit bei ihrem nachsichtigen Paten (nami), gewöhnlich ihr Onkel mütterlicherseits. Alle diese Beziehungen sind etwas fließend, weil die Dani ihre Lebensweisheit eher von konkreten Lebensumständen abhängig machen, als von allgemeinen Regeln. Die Mädchen lernen schnell, sich im täglichen Leben nützlich zu machen, die Knaben haben mehr Freiheit zum Spiel. Ihre Spiele bestehen jedoch in Tätigkeiten, die der Vorbereitung auf das Erwachsenendasein dienen. Sie üben sich im Werfen von Grasspeeren durch Schlingen, führen mit Armeen aus Pflanzensamen Krieg oder bauen kleine Häuser, während sie die Schweine hüten. Keine der Zeremonien des Stammes wird vor den Kindern verborgen, so daß sie schnell mit der Lebensweise der Dani vertraut werden.
Die Siedlungen der Kurelu sind nach dem Muster aller Dörfer der Dani aufgebaut. Sie sind über das Land verstreut und von Feldern umgeben. Hohe Wachttürme dienen dem Schutz vor feindlichen Überfällen. Ein Krieger hält diesen etwa siebeneinhalb Meter hohen Turm fast ständig besetzt und beobachtet das Niemandsland. Jedes Dorf ist in zwei oder drei Bezirke (sili) unterteilt, die jeweils mit einem Palisadenzaun aus gespaltenen Planken umgeben sind. Innerhalb eines solchen sili werden ein gemeinsames Männerhaus und ein Kochhaus, eine Anzahl Frauenhäuser und die Schweineställe errichtet. In dem Männerhaus, einer kegelförmigen, zweistöckigen, strohbedeckten Hütte von etwa 4,5 Meter Durchmesser wohnen jeweils mehrere Männer und Jungen zusammen. Das Obergeschoß dient als Schlafraum, das Erdgeschoß mit einem in der Mitte gelegenen Herd der Herstellung und Lagerung der Waffen. Die Anzahl der Frauenhütten ist ein Gradmesser für den Reichtum eines Mannes. Streitsüchtige Frauen werden oft um des häuslichen Friedens willen in die höher am Berg gelegenen Schweineställe verbannt.
Bei einem Tageslauf in Friedenszeiten verlassen die Männer morgens zuerst das Dorf; einige begeben sich zu den Wachttürmen, die anderen zu den Feldern, wohin ihnen die Frauen folgen. Im Unterschied zum Hauptteil des Hochlandes von Neuguinea ist das Große Tal intensiv kultiviert und in saubere Parzellen unterteilt, die von Bewässerungsgräben umgeben sind. Jede Familie verfügt über Felder in allen Entwicklungsstadien von der Aussaat bis zur Ernte. Da die Mineralien dem Boden schnell entzogen werden, müssen die Felder oft gewechselt werden. Dann zieht man neue Gräben und bricht den Boden mit großen, ruderartigen Grabstöcken auf. Nach der Vorbereitung des Bodens werden Süßkartoffeln gepflanzt. Taro wird in den Gräben angebaut, Gurken in den Gärten; Bananen, Pilze und Toa (hohe saftige Gräser) sammelt man auf den Feldern. Salz wird mittels zerrissener Bananenrinde aus einem salzhaltigen Weiher im nördlichen Kurelu-Territorium gewonnen.
Die Kinder treiben die Schweine aus den Ställen auf die Weide; sie behandeln auch Rattenbisse. Die Schweine dienen als Tauschmittel und werden bei den Zeremonien verwendet. Da sie die wichtigste Fleischquelle darstellen, findet sich meist ein Grund für eine Zeremonie, wenn Lust auf Schweinebraten besteht. Die Kurelu sind im Unterschied zu den Bewohnern des Südteils des Großen Tals keine Kannibalen.
Die Hauptbeschäftigung der Dani, das Kriegführen, ist in der Pflicht begründet, einen ermordeten Mann zu rächen, weil dessen Geist sonst nicht in Frieden ruhen kann. Da bei den Gegnern die gleichen Gesetze herrschen, führt dies zu einem nicht endenden Teufelskreis. Die bei den Kämpfen entstehenden Verluste sollen sich die Waage halten. Wenn ein Stamm zu viele Männer zu rächen hat, verbreitet dies
unter den Bewohnern Unruhe. Trupps von bis zu hundert Mann streifen durch den Busch, um ahnungslose Männer, Frauen und Kinder des Gegners zu töten. Nach dieser Herausforderung stellen beide Seiten neue Krieger auf, die ihren Körper einfetten, ihren schönsten Kopfputz anlegen und Süßkartoffeln essen. Die alten Männer versammeln sich, um die Versorgung der Verwundeten vorzubereiten, die Jungen, um den Kampf zu beobachten und daraus zu lernen. Die kepu, die Feiglinge, verharren besorgt im Hintergrund. Gegen Mittag unternimmt dann eine Gruppe von rund dreißig Kriegern einen Scheinangriff. Nachdem sie sich gegenseitig ausgepfiffen haben, was von höhnischem Gelächter begleitet wird, beginnt der Kampf. Von rund 500 Kriegern greifen etwa 100 an; sie laufen auf den Gegner los und rennen dabei tief vornübergebeugt, um die empfindlichsten Teile des Körpers vor den feindlichen Pfeilen zu schützen. Mann gegen Mann wird dann in vorderster Linie mit Spee- ren gegeneinander gekämpft. Nach etwa 15 Minuten ziehen sich die Gruppen zurück; einige Krieger sammeln die Pfeile auf. Die Verwundeten kehren je nach der Schwere ihrer Verletzungen aus eigener Kraft vom Schlachtfeld zurück oder werden auf den Schultern ihrer Freunde nach hinten getragen; dort entfernen die alten Männer die Pfeile und verbinden die Wunden. Der Kampf wird mit neuen Reserven fortgesetzt, bis die Zahl der Opfer ausreicht; bei Regen oder Einbruch der Nacht wird der Krieg unterbrochen.
Wenn ein Mann schwer verwundet wird, tragen ihn die Kurelu in seine Hütte. Man macht bei ihm kleine Ein- 98 schnitte in der Magengegend, um das »schwarze Blut« abfließen zu lassen. Ein Fetisch aus einem mit Federn versehenen Zuckerrohr wird über seinem Kopf geschwenkt und dann auf dem Dorfplatz als Schutz vor feindlichen Geistern aufgestellt. Ein Fleilkundiger bläst dem Verwundeten in die Ohren, um die »Saat des Singens«, die Seele des Mannes, zum Kampf gegen die feindlichen Geister zu ermutigen. Wenn der Verwundete stirbt, beginnt ein kompliziertes Bestattungsritual. Die Männer und Frauen des Stammes versammeln sich am nächsten Tag in dem sili-Hof, um bei dem Toten zu trauern. Man kocht ein Schwein und bereitet Geschenke aus Kaurigürteln und Netzen vor, die später durch den kain verteilt werden. Die Leiche wird zu einem außerhalb gelegenen Scheiterhaufen gebracht und der Geist »freigegeben«, damit er in das feindliche Gebiet fliegt und dort Schaden anrichtet. Nach einem Jahr kehrt der Geist nach dem Glauben der Dani zurück und hält sich bei der Wasserkalebasse des Toten auf, die dessen Bruder unter einem Baum nahe der Grenze aufgestellt hat.
Nach Rückkehr ins Dorf wird der Rest des Schweins verspeist. Dabei wird ein Ritual ausgeführt, bei dem zu Ehren des Toten kleinen Mädchen zwei Glieder von den äußeren Fingern der linken Hand abgeschnitten werden. Wenn die Trauer um einen bedeutenden Mann besonders groß ist, muß ein Junge das obere Drittel seines Ohrs opfern. Eine alte Frau sitzt währenddessen bei dem Scheiterhaufen und sammelt die Knochen aus der Asche. Diese letzten Überreste des Toten wickelt sie in Laub ein und fügt die abgeschnittenen Finger hinzu. Dann wird dieses Bündel außerhalb des Dorfes begraben.
Alle paar Jahre, wenn der Schweinebestand des Dorfes reich angewachsen ist und die Geister keine Rache fordern, ruft Kurelu, der Häuptling, zu einem mauwe auf, einem Fest, das eine Woche dauert. Dafür werden Hunderte von Schweinen geschlachtet. Es wird kein Krieg geführt und nicht gearbeitet. Gebäude werden ausgebessert und erschütterte Freundschaften erneuert. Dann werden die heiligen Steine des Klans, glatte, flache, grüne oder schwarze von den Ahnen überlieferte Steine, aus den Verpackungen hervorgeholt und mit frischem Schweinefett eingerieben.
Der Mittelpunkt des mauwe ist die Initiation der Jungen und Mädchen und die Verheiratung der Mädchen. Kein Mädchen ist so häßlich oder so arm, daß sie ein Mann nicht als zusätzliche Frau annehmen würde. Daher sind alte Jungfern unbekannt. Es können Jahre vergehen, bis das Dorf wieder über den Reichtum verfügt, um ein solches Fest zu feiern.
Nach der Überlieferung der Kurelu ist die Geschichte des Stammes kurz; der Großvater der gegenwärtigen Generation, ein Mann namens Nopu, soll mit einer Frau und einem großen Bündel mit Getier aus den Bergen gekommen sein. Nopus Kinder öffneten das Bündel gegen seinen Willen und ließen dadurch die Moskitos und die Schlangen auf die Welt. Da es keine Funde gibt, die von den Völkerkundlern datiert werden könnten, vermittelt diese Legende keine Anhaltspunkte für die Herkunft des Stammes; sie hat die Ankunft von Missionaren und Beamten und selbst das neue Wahlrecht der Kurelus bei den Wahlen 1971 überlebt.

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8.022 Die Kanu-Fischer der Trobriand-Inseln
Autor/in: Lexikalwissen

Die Kanu-Fischer der Trobriand-Inseln sind zum Musterbeispiel dafür geworden, wie sich Romanautoren und Filmemacher die »Südsee-Insulaner« vorstellen. Die Freiheit, mit der die Jugendlichen der Trobriand-Inseln ihre Sexualpartner wechseln, die Treue, die sie gegenüber ihren lebenslangen Ehepartnern beweisen, die Schönheit dieser Menschen und ihrer Inselheimat, die malerisch anzusehende Art ihrer Fischerei und ihr einzigartiges, kompliziertes Tauschsystem — das alles hat die Trobriand-Inseln zum Eden im westlichen Pazifik gemacht. Selbst wenn man bei den Schilderungen eine gewisse romantische Übertreibung in Rechnung setzt, ist die Trobriand-Gesellschaft für uns immer noch sehr anziehend. Trotz des Einflusses der Europäer blieb sehr viel von ihrer traditionellen Lebensart erhalten. Vor fünfzig Jahren wurde die Aufmerksamkeit der Welt zum ersten Mal auf die Trobriand-Insulaner gelenkt, als Bronislaw Malinowski sie besuchte und in seinem Buch »Die Argonauten des westlichen Pazifik« über sie berichtete. Seither wurden sie von den Ethnologen stark beachtet.
Die Trobriand-Inseln sind Koralleninseln, mit fruchtbarem Boden bedeckt, der sich ausgezeichnet für den Anbauvon Taro und Yams eignet. In der großen Lagune vor der Hauptinsel Boyowa wimmelt es von Fischen. Ungeachtet ihrer einfachen Werkzeuge sind die Inselbewohner erfolgreiche, fleißige Feldbauern und geschickte Fischer. Es ist ihnen gelungen, ziemlich autark zu bleiben; nur Steine und Lehm müssen sie importieren. Nicht alle Dörfer auf Boyowa haben guten Zugang zur See; der Tausch der überschüssigen Fische aus den Küstendörfern war schon immer von wirtschaftlicher Bedeutung und ist entsprechend zeremoniell verankert. Jedes Dorf ist von seinem eigenen Land umgeben und besitzt ein Wasserloch, Obstbäume und Palmenhaine. Die Dorfanlage besteht aus zwei konzentrischen Ringen; die Lagerhäuser für den Yams bilden den inneren und die Wohnhütten den äußeren Ring. Auf der Fläche in der Mitte finden Tänze und Feste statt, dort werden auch die Toten begraben. Ein Dorf hat mehr als 100 Einwohner und besteht aus mehreren Klans und Unterklans.
Jede Person gehört zu einem der vier Grund-Klans und verliert ihre Klan-Identität nie, auch nicht bei einer Rein- kamation, an die die Trobriander glauben. Der Mythos vom Ursprung der Trobriand-Insulaner berichtet von der Ankunft der vier Geister-Ahnen auf der Erde, andere Mythen vom Entstehen von Unterklans und von ihren Anrechten auf bestimmte Gebiete. Die Zugehörigkeit zu einem Klan wird jeweils durch die Mutter bestimmt, denn die Abstammung wird nach der mütterlichen Linie gerechnet (matrili- neal).
Der Häuptlingsrang wird allen Männern gewisser Unter- klans zugestanden, z. B. den Tabalu, die besonderes Ansehen genießen. Sie werden mit dem Häuptlingstitel angesprochen, tragen Insignien aus Muscheln und haben mehrere Frauen. Sie sind auch dazu verpflichtet, gewisse Er- 102 nährungs-Tabus einzuhalten, die um so einschneidender sind, je höher ihr Rang ist. Unterklans von hohem Rang wird auch der Besitz gefährlicher Zauberkräfte zugeschrieben, so verfügen die Tabalu zum Beispiel über einen mächtigen Wetterzauber, der Hunger, aber auch Wohlstand über ganz Boyowa bringen kann.
Der Führer oder Häuptling des Dorfs ist gewöhnlich der älteste unter den körperlich tauglichen Männern des dominierenden Unterklans. Über diesen örtlichen Führern gibt es keine zentrale Autorität — keine Verwaltung oder Regierungsmaschinerie: kurz gesagt, es gibt nichts, das einem Staat ähnelt. Das gesellschaftliche Leben regelt sich zwanglos; Streitereien werden durch Verwandte und Freunde der Beteiligten geschlichtet.
Ein Haushalt umfaßt ein Ehepaar und seine Kinder; sie leben bei den mütterlichen Verwandten des Ehemanns in dem Dorf seines Unterklans. Die Töchter bleiben bis zu ihrer Heirat im Elternhaus; die Söhne verlassen ihre Eltern früher und ziehen in ein Dorfhaus, das sie mit anderen Jungen ihres Alters teilen. Die Heranwachsenden beider Geschlechter führen ein Leben uneingeschränkter sexueller Freiheit. Während dieser Zeit entwickeln sich jedoch Bindungen, die oft zur Heirat führen. Wenn ein Paar aber einmal verheiratet ist, erwartet man, daß die beiden einander treu bleiben. Eine Heirat erfordert die Zustimmung der Eltern beider Partner und wird durch den Austausch von Geschenken zwischen den beiden Familien vollzogen. Dann bringt der Bräutigam seine Braut in das Dorf seiner mütterlichen Verwandtschaft.
Nach den Rechtsvorstellungen der Trobriand-Insulaner ist der Vater kein Verwandter seiner Kinder, sondern ein Fremder; er wird lediglich als Ehemann ihrer Mutter betrachtet, da er keinen Anteil an der Zeugung hat. Somit geht das genetische Erbe allein von der Mutter aus, wie auch nur der materielle Besitz der Mutter an die Kinder vererbt wird. Der Vormund der Kinder ist der Bruder der Mutter. Man hat viel darüber debattiert, ob die Trobriander von der physiologischen Vaterschaft keine Kenntnis haben. Fest steht, daß nach dem herrschenden Glauben die Rolle des Vaters darauf beschränkt ist, den Weg für den Eintritt eines »Geisterkindes« zu öffnen. Da dies während der Schwangerschaft durch das Blut der Mutter ernährt wird und dabei Gestalt annimmt, tragen alle menschlichen Wesen ausschließlich mütterliches Erbgut.
Eine wichtige Pflicht jedes verheirateten Mannes ist sein jährliches Erntegeschenk — etwa die Hälfte seiner Yams- Ernte —, das er dem Haushalt seiner Schwester machen muß, da er ja der Vormund ihrer Kinder ist. Seine Frau ist natürlich die Empfängerin einer ähnlichen Haushaltsspende von ihrem eigenen Bruder. Da Männer von Rang, besonders Häuptlinge, mehr als eine Frau haben können, werden die Trobriand-Häuptlinge durch ihre Position als Chef großer polygamer Haushalte reich und mächtig. Da die Frauen aus vielen Dörfern kommen, können diese Heiraten wichtige Verbindungen zwischen den Gemeinden sein. Die jährlichen Erntegeschenke, die der Häuptling von den Verwandten seiner Frauen bekommt, stellen eine Art Tribut dar; er 104 verwendet seinen Reichtum, um Gemeinschaftsuntemehmen zu fördern — Kriege, Feste, Zeremonien, kw/a-Expedi- tionen.
Das kula-Handelsnetz umfaßt zeremonielle Tauschgeschäfte über weite Meeresgebiete, sowohl innerhalb der Trobriand-Inseln, wie auch mit anderen Nachbar-Inseln. Innerhalb eines weiten Rings von Inseln werden über eine Entfernung von tausend Meilen mit seetüchtigen Kanus zwei Arten von Wertsachen aus Muscheln gehandelt, und zwar rote Muschelhalsbänder in Uhrzeigerrichtung, weiße Muschelarmbänder im Gegensinn. Auf den Inseln des Südens werden die Halsbänder, auf den Trobriand-Inseln die Armbänder hergestellt. In jeder Gemeinde erhalten die Männer des kw/a-Tauschrings die Wertsachen, behalten sie für eine Weile und geben sie dann an ihre lebenslänglichen Tauschpartner weiter. Als Ausgleich dafür erhalten sie Wertsachen der entgegengesetzten Klasse. Die Regel »einmal in der kula, immer in der kula«, gilt sowohl für die Partnerschaft als auch für die Wertsachen. Da immer dieselben Sachen im Kreis herumgehen, erwerben sie einen gewissen Ruf; sie erhalten Namen und man erzählt Geschichten über sie und die Menschen, die sie besessen haben.
Kula-Expeditionen über See erfordern komplizierte Vorbereitungen, denn Inselnachbarn sind nur selten an die gleichen Sitten und Gebräuche gebunden. Gegen eventuelle Feindseligkeiten wird ein Zauber angewendet. Wenn ein seetüchtiges Kanu gebaut worden ist, werden Riten vollzogen, um es sicher, schnell und glückhaft zu machen. Auch während der Fahrt wird ein Zauber gegen widriges Wetter und »fliegende Hexen« angewendet. Wenn man schließlich seinen Bestimmungsort erreicht hat, wendet man den Zauber wiederum an, um die Gastgeber zu umwerben und freundlich zu stimmen, damit sie sich gern von ihren Wertsachen trennen. Um in eine kula einzutreten, muß ein junger Mann mit dem Zauberbann vertraut sein und eine wertvolle Muschel besitzen. Er muß auch mit den Formen des freundschaftlichen Tauschs vertraut sein, bei dem ein Handeln vollkommen ausgeschlossen ist. Die Partnerschaft wird durch die Übergabe der Wertsachen geschlossen; der Empfänger macht zu einem späteren Zeitpunkt das Gegengeschenk. Alle Transaktionen werden durch Zeremonien besiegelt, durch die das uneigennützige Schenken und das gegenseitige Vertrauen gepriesen wird. Diese Wertschätzung der Freundschaft oder Quasi-Verwandtschaft schließt skrupellose Geschäfte zwischen den Tauschpartnern aus.
Jetzt hat die »Zivilisation« Schulen, ein Krankenhaus und eine Dienststelle der australischen Regierung gebracht.
Trotz dieser Veränderungen blieb jedoch viel von der einheimischen Kultur erhalten. Die Lebensweise ist die gleiche geblieben, man trägt noch die traditionelle Kleidung, und die Dörfer sind noch genauso organisiert. Die kula wurde beibehalten, obwohl heute manchmal Missions- und Regierungsboote statt der Kanus benützt werden. Seit aber neuerdings ein Geschäft Waren gegen Geld verkauft, nimmt der Tauschhandel schnell ab. Jedoch werden auch heute noch die sonst funktionslosen kula-Artikel ausgetauscht, denn sie sind Symbole des Prestiges geblieben und verleihen den verstreut lebenden Inselbewohnern ein Gefühl der Gemeinschaft

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8.023 Die Völker Melanesiens
Autor/in: Lexikalwissen

Die Inselgruppen Melanesiens - das Wort kommt aus dem Griechischen und heißt »Schwarze Inseln« - ziehen sich in weitem Bogen von Neuguinea über die Salomonen zu den Neuen Hebriden und nach Neukaledonien. Die einzelnen Inseln sind, abgesehen von den zahlreichen Atollen, meistens wesentlich größer als die des östlich gelegenen Polynesien. In den dichten Regenwäldern und den zerklüfteten Bergen leben noch Menschen, die von der europäischen Zivilisation völlig unberührt sind; manche ihrer Wohngebiete, zum Beispiel in Neuguinea, sind noch nie auf Karten erfaßt worden.
Melanesien ist keine politische Einheit. Der östliche Teil Neuguineas einschließlich Papua steht unter australischer, der westliche unter indonesischer Verwaltung. Die Salo- mon-Inseln gehören zu Großbritannien, Neukaledonien ist französisches Überseeterritorium und die Neuen Hebriden werden von Frankreich und Großbritannien gemeinsam verwaltet. Doch trotz der oft willkürlich gezogenen Grenzen konnte es seine ethnische Einheit bewahren. Die kraushaarigen Melanesier sind dunkelhäutiger als Polynesier und Indonesier. Ihre Sprachen bilden eine eigenständige Sprachgruppe. Die einzelnen Stämme haben nur wenige Mitglieder und leben häufig von der Außenwelt abgeschieden. Ihre Gesellschaftsordnung hat keine Führung, nur in Neukaledonien gibt es ein Häuptlingstum. Die Bewohner Melanesiens bauen hauptsächlich Knollengewächse an.
Die Melanesier sind jedoch nicht die einzigen Bewohner der Inseln. Im Laufe der Zeit sind Polynesier, Mikronesier, Chinesen und Europäer eingewandert. Die ersten Bewohner waren wohl negroide Völker, die in großen Verbänden vor rund 20000 Jahren durch Südostasien nach Neuguinea wanderten und sich nach und nach auf den einzelnen Inseln niederließen. Seit etwa 1000 Jahren segelten hellhäutige Polynesier und Mikronesier über das Meer und siedelten sich an den Küsten an. So stammt ein großer Teil der Bewohner der Salomonen von den fast 2000 Kilometer nordöstlich gelegenen Gilbert- und Ellice-Inseln. Die Melanesier wichen im Laufe der Zeit in die Gebirge oder auf kleinere Inseln aus. Die Bergstämme befanden sich fortwährend im Kriegszustand; einige, wie die Namba auf Malekula (Neue Hebriden), stehen noch heute jedem Fremden feindselig gegenüber.
Durch diese verschiedenen Einwanderungen sind Menschentypen mit sehr unterschiedlicher äußerer Erscheinung entstanden. Die Bewohner der Küsten- und Sumpflandschaften sind groß und schlankwüchsig, die der Berggegenden dagegen klein und gedrungen mit negroiden Zügen; Manche sind den Pygmäen ähnlich. Aufgedunsene Bäuche sind die Folge ihrer stärkehaltigen Kost aus Süßkartoffeln, Taro- und Brotbaumfrüchten. Die Küstenbewohner nehmen dagegen hauptsächlich Fischnahrung zu sich. Schweine werden auf allen Inseln gehalten, ihr Fleisch wird aber meist nur bei kultischen Festen gegessen. Bei einigen Stämmen ist den Frauen, die allgemein als minderwertig gelten, der Genuß von Schweinefleisch gänzlich untersagt. Ehefrauen müssen häufig Schläge und das in sexueller Hinsicht auch 106 oft gewalttätige Verhalten der Männer hinnehmen.
1774 gab Kapitän Cook den Neuen Hebriden ihren Namen, doch erst nach 1800 wurden die natürlichen Gegebenheiten der Inseln für Wirtschaft und Handel erschlossen. Auf den Salomonen wüteten Sklavenhändler, die viele Bewohner als billige Arbeitskräfte für die Plantagen nach Queensland verschleppten. Gold, Schildpatt und Perlen wurden erst später entdeckt. Auch auf den Neuen Hebriden wurde die Bevölkerung durch Verschleppung und grausame Metzeleien reduziert. Hier entwickelte sich der Handel mit Kopra. Nach einem Massaker an einer französischen Expedition wurde Neukaledonien französische Strafkolonie; die Strafgefangenen wurden später durch Kaufleute befreit, die die Eisen-, Nickel-, Chrom-, Mangan-, Kupfer- und Goldvorkommen ausbeuteten. Malaria und Ruhr waren bei den Eingeborenen weit verbreitet, doch starben auch viele an eingeschleppten Krankheiten wie Masern, Keuchhusten, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten und Grippe.
Die Melanesier sind von den Europäern sehr unterschiedlich beurteilt worden; die frühen Siedler bezeichneten sie als Wilde und Barbaren. Reisende hoben die Schönheit der Inseln und die exotische Lebensart ihrer Bewohner hervor, die gutmütig und müßig in ihren Kanus umherpaddelten. Andererseits schockierten aber auch die Berichte über den an vielen Stellen Melanesiens angetroffenen Kannibalismus, der hier zwei verschiedenen Auffassungen entspringt. Einmal schätzen sich einzelne Stämme selbst so hoch ein, daß sie jeden Fremden als Tier betrachten; für sie ist das Fleisch eines Babys von einem andern Stamm nichts weiter als ein Stück Wildbret. Zum anderen gibt es Kannibalen, die sowohl das Fleisch eines Feindes als auch das eines verehrten Verwandten verzehren, um so die an ihnen bewunderten Eigenschaften in sich aufzunehmen.
Auf die Melanesier selbst hatte das Erscheinen der Europäer eine traumatische Wirkung, die besonders durch den auf den Inseln weitverbreiteten Cargo-Kult deutlich wird. Die Melanesier glauben, daß materielle Güter ein Geschenk der Geister sind; so waren sie durch den Anblick der vielen wundervollen Schätze der Europäer auch schnell bereit, deren Geister zu verehren. Ihre Hoffnung, durch Annahme des fremden Glaubens in den Besitz dieser Schätze zu kommen, verhalf den ersten christlichen Missionaren zu großen Erfolgen. Die Melanesier glaubten, daß die Schätze wie das Manna für die Israeliten in der ägyptischen Wüste vom Himmel fallen würde, und bauten große Behälter, um sie aufzufangen. In neuerer Zeit schöpften sie aus dem Erscheinen der Flugzeuge neue Hoffnung. Als jedoch die Schätze ausblieben, verbreitete sich Enttäuschung und Verwirrung unter ihnen. Sie behaupteten, daß die Priester ihnen absichtlich wesentliche Punkte verschwiegen hätten, ja sogar, daß sie die entscheidenden Seiten mit der Beschreibung der Formel zur Gewinnung der Schätze aus der Bibel entfernt hätten. Doch halten noch heute viele Melanesier am Cargo- Kult fest, der ein Versuch ist, ihr eigenes religiöses Weltbild mit einem ihnen unbekannten Phänomen zu verbinden. Die Kultformen mögen verschieden sein, aber sie spiegeln alle die tiefgreifenden Wirkungen der durch fremde Völker aufgezwungenen Vorstellungen wider.

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8.024 Die Bewohner der Salomon-Inseln - Melanesien
Autor/in: Lexikalwissen

Für die Bewohner der Salomon-Inseln ist es fast ein religiöses Fest, wenn sich der Bonito, eine Thunfischart, in großen Schwärmen ihren Korallenküsten nähert. Sie holen ihre heiligen Kanus aus den Bootshäusern, lassen sie zu Wasser und eilen zum Fischfang hinaus. Der Bonito, eine bei den Inselbewohnern begehrte Speise, verspricht ihnen reichliche Nahrung. Doch müssen sie beim Fang auf große Gefahren gefaßt sein, denn die riesigen Fischschwärme ziehen auch Haie an.
Der Bonito verschwindet auf fast ebenso schnelle und geheimnisvolle Weise, wie er auftaucht. Für die Inselbewohner ist es jedoch schon ein gutes Omen, wenn er überhaupt kommt. Seine Unbeständigkeit scheint ebenso wie die Gier der Haie auch für die Götter der Inselbewohner typisch zu sein, die ihnen je nach Laune diese Nahrung zukommen lassen oder vorenthalten. Wenn der Bonito regelmäßig erscheint, ist das für die Inselbewohner ein Zeichen für ihr gutes Einvernehmen mit den Göttern, bleibt er aus, ist es ein Zeichen für den Zorn der Götter.
Der Thunfischfang hat eine so große Bedeutung bei den Für die Bewohner der Salomon-Inseln ist es fast ein religiöses Fest, wenn sich der Bonito, eine Thunfischart, in großen Schwärmen ihren Korallenküsten nähert. Sie holen ihre heiligen Kanus aus den Bootshäusern, lassen sie zu Wasser und eilen zum Fischfang hinaus. Der Bonito, eine bei den Inselbewohnern begehrte Speise, verspricht ihnen reichliche Nahrung. Doch müssen sie beim Fang auf große Gefahren gefaßt sein, denn die riesigen Fischschwärme ziehen auch Haie an.
Der Bonito verschwindet auf fast ebenso schnelle und geheimnisvolle Weise, wie er auftaucht. Für die Inselbewohner ist es jedoch schon ein gutes Omen, wenn er überhaupt kommt. Seine Unbeständigkeit scheint ebenso wie die Gier der Haie auch für die Götter der Inselbewohner typisch zu sein, die ihnen je nach Laune diese Nahrung zukommen lassen oder vorenthalten. Wenn der Bonito regelmäßig erscheint, ist das für die Inselbewohner ein Zeichen für ihr gutes Einvernehmen mit den Göttern, bleibt er aus, ist es ein Zeichen für den Zorn der Götter.
Der Thunfischfang hat eine so große Bedeutung bei den Zügigkeit der Amerikaner kennengelernt hatten, das Leben auf den Salomonen grundlegend geändert hatte.
Verbunden mit einer politischen Bewegung breitete sich in den Jahren von 1944 bis 1953 ein neuer Kult, der »March- ing Rule«, auf den Inseln aus. Treibende Kraft war ein Verfechter einer neuen Gesellschaftsordnung, die Wohlstand für alle sowie die völlige Unabhängigkeit von den Briten forderte. Die Bewegung war auf Malaita, der damals am dichtesten bevölkerten Insel, entstanden. Von da griff sie westwärts nach Santa Isabel und südwärts nach Guadalca- nal über. Als sie ihre höchste Anziehungskraft erreicht hatte, besuchten auch Eingeborene anderer Inseln häufig Malaita, wo sie bei Massenversammlungen eifrig den Reden ihrer Führer zuhörten. Dann trat seltsamerweise eine Veränderung ein.
Ein Mann namens Moro hatte während einer Erkrankung eine Vision, die den Ursprung seiner Insel betraf. Als die Krankheit ihren Höhepunkt erreichte, wurde er bewußtlos, dann setzte auch seine Atmung aus. Die Vorbereitungen für seine Beerdigung wurden schon getroffen und Schweine für die Trauerfeier besorgt. Plötzlich begann er wieder zu atmen. Später sprach er aufgeregt von seiner Erscheinung, und man glaubte zunächst, er sei von Sinnen. Er sagte: »Ich sah einen Vogel, aber es war ein Mensch, der mir befahl, alles zu tun, was er mir auftrug ... Alles in diesem Land gehört dir, und auch die See gehört dir. Du mußt eine Gesellschaft gründen und für Geld sorgen. Du solltest dein Eigentum nutzen.«
Diese Vision wurde in die Satzung einer sozialreligiösen Bewegung aufgenommen, deren Ziel eine politische Partei unter Führung von Moro war. Die Einrichtung kooperativer Unternehmen wurde zur Hebung des Lebensstandards aller Mitglieder angeregt. Schon bald wurde diese Bewegung »Moro Custom Company« genannt und zog die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich. Guadalcanal, wo Moro seine Vision hatte, ist etwa 150 Kilometer lang und 50 Kilometer breit. Zerklüftete Berge erheben sich bis zu 2100 Metern und fallen steil zur Südküste ab. Der nördliche Teil ist verhältnismäßig trocken, der Süden dagegen Passatwinden und einem rauhen Seeklima ausgesetzt. Hier machte die Regierung den ersten entscheidenden Versuch, die wirtschaftliche Lage der Insulaner zu verbessern. Agronomen sollten die Kopra-Produktion erhöhen und größere Gebiete mit Kokospalmen bepflanzen. Doch genügten diese Maßnahmen nicht, um das Wachstum der Custom Company aufzuhalten. Moro fand ständig neue Anhänger und vereinnahmte immer größere Geldbeträge, sowohl in der lokalen Muschelwährung als auch in australischen Banknoten, mit denen er die Organisation seiner Bewegung festigte.
Guadalcanal wird von Moro und seinen Anhängern Isa- bu genannt. In ihrem Hauptquartier, dem Dorf Makaruka, hat die Gesellschaft ein »Zollhaus« gebaut, das ihr sowohl als heiliger Schrein wie auch als Schatzkammer dient. An die Mauer des Hauses ist ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen, den Kopf im Profil, gemalt. Er stellt den Vogel dar, den Moro in seiner Vision gesehen hat. Im Inneren des Hauses befinden sich Schnitzereien, die einen Falken mit 111
Die Bewohner der Salomon-Inseln - Melanesien einem Fisch im Schnabel darstellen. Sie symbolisieren die Erschaffung von Isabu; Hundefiguren repräsentieren das Stadium der Schöpfung, in dem es noch keine Menschen gab. Auf den Simsen lagern Körbe mit Muschelgeld und Gegenstände, die für die mythische Geschichte der Insel besondere Bedeutung haben.
Moros Custom Company ist eine Reaktion auf das Zusammentreffen der westlichen Zivilisation und einer primitiven Kultur. Die Auswirkungen erscheinen in diesem Fall seltsam; andere sind jedoch leichter zu verstehen. Viele der einheimischen Kunstformen wurden zerstört oder werden zunehmend aufgegeben. Obwohl manche Kunstarten in einigen Gemeinschaften weiterleben, blühen sie nicht meh; so wie noch vor fünfzig Jahren. Da der Pazifik und seine Inseln in steigendem Maß in den Bann und unter den Einfluß der modernen Welt geraten, sterben die alten Kulturen und werden bald vergessen sein.
Zwei Arten von Gegenständen sind für die einheimische Schnitzerei noch repräsentativ. Die eine ist eine männliche Figur mit einer schweineartigen Schnauze, die andere eine ovale Schüssel mit geschnitzten Vögeln oder Fischen an einem Ende. Die Männergestalten sind religiöse Statuen, die traditionsgemäß an großen Kanus, wie sie zum Bonito- Fang benützt werden, angebracht sind. Die Schüsseln dienen rituellen Opfern für die Gottheiten. Diese beiden Kunstformen kommen jedoch aus verschiedenen Gebieten der Salomonen: die geschnitzten Figuren von den westlichen und die Schüsseln von den östlichen Inseln. In diesen beiden Gebieten sprechen die Menschen unterschiedliche Sprachen und besitzen verschiedene Kulturen.
Der Stil der Schnitzereien ist auf den Inseln jeweils ganz persönlich geprägt. Einige Schnitzer beschäftigen angelernte Gehilfen, die die Arbeit vollenden, wenn Muster und Form einmal festgelegt sind. Andere wiederum erlauben niemandem sonst, die letzte Feinarbeit zu verrichten, die mit kleinen Beilen, Bimsstein und Schabern aus Glasscherben ausgeführt wird. Bis vor 75 Jahren verwendete man Klingen aus Steinen und Muscheln für fast alle Arbeiten an den Schnitzereien. Auch heute noch sind die Werkzeuge des Künstlers einfach; die wichtigsten sind Beile aus Abfalleisen, die an hartem vulkanischem Gestein zur richtigen Form geschliffen werden. Ein spitzer Nagel dient als Bohrer und ein geschärfter Schraubenzieher oder ein flachgeschlagener großer Nagel als Meißel.
Die Skulpturen sind gewöhnlich bemalt. Alle Farben sind natürlicher Herkunft; das Schwarz ist pulverisierte, mit dem Saft eines Baums vermischte Holzkohle; Kalk, der durch Brennen von Korallenfelsen der Küste gewonnen wird, dient als Weiß, und das Rot stammt von der roten Erde. Viele der heiligen Kanus und schönen Schüsseln sind mit Einlegearbeiten aus Muscheln oder Perlmutt verziert. Dafür werden die ans Ufer getriebenen dünnen Nautilusschalen verwendet. Die meisten Männer sind in der Lage, Gebrauchskanus zu bauen; diese sind sicherlich die geeignetsten Fahrzeuge für die Verwendung nahe der kliffreichen Korallenküste der Insel. Der Bau der großen Bonito- oder 114 Handelskanus bleibt jedoch den Fachleuten überlassen. Gewöhnlich ist das eine Gruppenarbeit, zu der viele Männer ihre unterschiedlichen Fähigkeiten beisteuern. Das Ergebnis ist ein schönes, seetüchtiges und reich verziertes Kanu.
Ein Mann, der fähig ist, ein gutes Haus und ein stabiles Allzweckkanu zu bauen, der schnitzen kann und die schwierigen Operationen ausführt, mit denen geometrische Muster als Zeichen ihrer sozialen Identität in die Gesichter der Kinder geschnitten werden, gilt als »talentiert«. Um diesen Status zu erreichen, muß er in all diesen Künsten geschickt sein; bei einer Überprüfung von 1500 Männern, die auf Star Harbour, Santa Ana und Santa Catalina leben, wurden nicht mehr als zehn als »talentiert« eingestuft. Eine ähnliche Bewertung erfolgt für Frauen, die die Fähigkeiten des Hechtens von Fächern, Körben und Matten ebenso beherrschen müssen wie das schwierige Tätowieren, das traditionsgemäß durchgeführt wird, um den Körper zu schmücken.
Die Bewohner der Salomon-Inseln tragen persönlichen Schmuck fast nur zu zeremoniellen Gelegenheiten. Höchst künstlerisch sind die Nasengehänge, die von Männern getragen werden, und der Ohrschmuck aus Muscheln. Die Feinheit der Ausarbeitung ihres Schmucks zeigt den sozialen Rang einer Person an. Für die Frauen hat der Schmuck meistens noch eine besondere Funktion. Sie tragen Schnüre mit Muschelgeld um Arme und Beine, um die Taille und über die Schultern; so sieht man sie bei rituellen Anlässen selten ohne die Zeichen ihres Wohlstands.
Die Häuser und ihre Einrichtungen sind gewöhnlich schmucklos, aber die für öffentliche Anlässe und Schaustellungen bestimmten Dinge sind mit eindrucksvollem Schnitzwerk verziert. Die geschnitzten Enden der Speisenschüsseln erfreuen das Auge, beweisen die Talente der Familie und identifizieren die Schüsseln bei öffentlichen Festen. Auf Santa Ana hat jeder Mann einen geschnitzten Ritualpfahl, der privaten Zeremonien mit seiner persönlichen Gottheit dient. Anderswo werden geschnitzte und mit Muscheln eingelegte Schüsseln für einen ähnlichen Zweck verwendet.
Bei diesen Ritualen ißt jeder für sich allein, nur in Gemeinschaft mit seiner Gottheit, aber es gibt auch Gelegenheiten, bei denen das Mahl in Gemeinschaft eingenommen wird. Zentrum dieser Zeremonien, bei denen auch Riten zum Gedächtnis der Toten abgehalten werden, ist das Bootshaus. Hier werden, mehr als irgendwo sonst, die besten der künstlerischen Fertigkeiten der Inselbewohner dargestellt. Schnitzereien schildern mythische, religiöse und rituelle Ereignisse mit vollendet zusammengestellten Figurengruppen. Hier begegnet sich der weltliche Bereich der Menschen mit dem heiligen Bereich der Götter.
Für die gegenwärtige Generation der Salomonen-Bewoh- ner bleibt das Problem der Anpassung dieser rituellen Lebensart an den wachsenden europäischen Einfluß bestehen. Sowohl der kulturelle als auch der wirtschaftliche Lebensstil werden unerbittlich durch den Kontakt mit einer modernen, materialistischen Welt ausgehöhlt; die Bewegung der Moro Custom Company ist eine — weithin weltliche — Reaktion auf dieses Problem; eine andere ist die allmähliche Preisgabe der reizvollen überlieferten Kunstformen.

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8.025 Die Bewohner von Tanna Neue Hebriden
Autor/in: Lexikalwissen

Die Ankunft amerikanischer Truppen auf den westpazifischen Inseln während des Zweiten Weltkrieges brachte einen vorher nie gekannten Reichtum für die Inselbewohner. Sie waren von der endlosen Flut von Konsumgütern geradezu überwältigt. Da alles in Kisten aus den Bäuchen von Schiffen und Flugzeugen kam, begriffen die Bewohner der Inseln weder die Quellen dieses Reichtums noch die Bedingungen, die nötig waren, um ihn zu erlangen. Daher wurden diese Geschehnisse mystifiziert, und der Cargo- Kult erhielt neuen Auftrieb. Dieser Cargo-Kult besteht in dem Glauben der Inselbewohner, daß sie durch Anlehnung an die Europäer und besonders an ihre christlichen Lehren bewirken können, daß auch sie solchen Reichtum erhalten.
Auf der Insel Tanna in den Neuen Hebriden wurde der Cargo-Kult von dem schon zum Mythos gewordenen John 116 Frum eingeführt. Dieser unterschied sich von den anderen Weißen dadurch, daß er die tannesischen Dialekte und Sitten kannte und den Inselbewohnern in anhänglicher Treue zugetan war. Der John-Frum-Kult wurde offiziell 1939 bekannt. In der gesamten, sich über 4500 Kilometer erstrek- kenden melanesischen Inselwelt von Neuguinea bis zu den Neuen Hebriden gibt es Cargo-Kulte, oft von Männern geleitet, die man sich, wie John Frum, als übernatürliche Wesen vorstellt.
Die Missionare hatten zu allen Inseln das Christentum gebracht, das die traditionellen Glaubensanschauungen zurückdrängte. Sie brachten auch die ersten unerklärlichen »Frachten« und wundervollen Instrumente. Für die Eingeborenen wurden diese Dinge schnell zu den Früchten des neuen Glaubens.
Der erste Kontakt mit der westlichen Welt hatte sich 1774 durch die zweite Reise von Kapitän Cook ergeben. In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts waren die Beziehungen zwischen den vordringenden Europäern und den Tannesen nur vorübergehender Art; Walfänger und Kaufleute tauschten Alkohol, Feuerwaffen und wertlosen Plunder gegen Muscheln, Sandelholz und Kokosnüsse. Die Tannesen wurden durch Anwerber manchmal mit Gewalt zur Arbeit in die Zuckerrohrpflanzungen in Queensland und auf den Fidschi-Inseln gebracht. Die ersten Missionare trugen dazu bei, daß diesen »press-gangs« das Handwerk gelegt wurde, und kämpften gleichzeitig gegen manche traditionellen Bräuche: die mörderischen Kämpfe, das Trinken von Kawa (eines narkotisierenden Getränks, das aus den Wurzeln des Piper-Methysticum-Strauchs gebraut wurde) und die sexuelle Initiation junger Männer durch Prostituierte. In den Augen der Inselbewohner waren die Missionare wohlhabende Männer, die Stoffe und Werkzeuge nach Belieben verschenken konnten.
Häufig wurde die neue Religion lediglich wegen ihrer Verbindung mit dem Reichtum der Weißen akzeptiert. Dieser Zusammenhang scheint auch durch folgende alte Legende gestützt zu werden: Die Gottheit Kilibob, die in Neuguinea im frühen zwanzigsten Jahrhundert verehrt wurde, hatte - wie Lawrence in »Road Belon Cargo« berichtet — ein Schiff, das mit weißen und schwarzen Männern, einheimi- 118 sehen Erzeugnissen, pflanzlicher Nahrung und europäischen

Waren beladen war. An verschiedenen Haltepunkten längs der Küste setzte Kilibob einen Schwarzen an Land und ließ ihm die Wahl unter den Gütern auf dem Schiff. Unweigerlich wies jeder Schwarze die europäischen Waren zurück. Nachdem alle Schwarzen abgesetzt waren, fuhr Kilibob in ein anderes Land, wo er mit der europäischen Fracht die weißen Männer zurückließ. Diese hatte er auch mit den Ritualen vertraut gemacht, die notwendig sind, um derartige Güter zu erhalten.
Um 1930 war Tanna durch die Rivalität zwischen christlichen Sekten in Unruhe geraten. Ein französischer Distriktsagent wurde entsandt, um den Einfluß der angelsächsischen Presbyterianerkirche einzuschränken. Eine neue Alternative bot sich durch die Ankunft der Siebenten- Tags-Adventisten. Ganze Gruppen von alten Gegnern der Presbyterianer schlossen sich der Adventisten-Mission an. Anere verließen einfach den christlichen Glauben und kehrten zu den überlieferten Bräuchen zurück, bei denen man Kawa trank, um sich mit Geistern und übernatürlichen Wesen in Verbindung zu setzen.
Einige Eingeborene behaupten, John Frum sei zum ersten Mal Anfang der 30er Jahre dieses Jahrhunderts in Erscheinung getreten. Die Bewegung wurde aber erst 1940 bekannt. Die Bevölkerung zählte damals fast 6000 Menschen, von denen etwa 60 Prozent Nichtchristen und der Rest zumeist Adventisten und Katholiken waren. Zu dieser Zeit hörte man Berichte von dem übernatürlichen Wesen John Frum, der ein Jahrtausend versprach, das alle von den Eingeborenen gewünschten Güter bringen würde. Die Bewegung breitete sich auf ganz Tanna aus; die meisten Missionen wurden verlassen.
Das Kawa-Trinken wurde zum täglichen Ereignis, und die überlieferten Tänze wurden wieder aufgenommen. Das europäische Geld gab man schnell aus, da Gerüchte umliefen, daß es bald wertlos sein würde. Die neuen Dorfanlagen, die zur Vereinfachung der Verwaltung gebaut worden waren, wurden verlassen und die alten Weiler wieder besiedelt. Der Distriktsagent, Nicol, der in dem Ruf stand, die Presbyterianer zu begünstigen, steckte einige der bekannten Anführer ins Gefängnis oder verbannte sie; den Mann, den er für John Frum hielt, ließ er an einen Baum binden. Dieser Mann hatte sich allerdings nur gestellt, damit die Untersuchung beendet würde; die Hauptperson blieb daher frei.
Die Ankunft der amerikanischen Truppen auf Tanna galt als das Werk von John Frum. Etwa tausend Inselbewohner meldeten sich freiwillig zur Arbeit bei den Amerikanern. Auf die Kriegsjahre folgte jedoch die Enttäuschung; John Frums Versprechungen verwirklichten sich nicht; bald kam die Verwaltung des englisch-französischen Kondominiums und mit ihr wieder Unterdrückung für die Einheimischen. Weitere Führer wurden ins Gefängnis geworfen oder verbannt. Einige Tannesen wandten sich daraufhin wieder den Missionen zu. Der Kult war jedoch noch keineswegs tot.
Die Schätzungen über die Zahl der Anhänger des Cargo- Kults schwanken beträchtlich. Nur ein kleiner Teil, vielleicht 5 Prozent, glaubt, daß John Frums Jahrtausend nahe bevorstehe - aber bis zu 99 Prozent sind doch der Überzeugung, daß sie irgendwann für ihren Glauben an John Frum belohnt werden. Das ist ähnlich wie in westlichen Gesellschaften: in deren Kirchen gibt es sowohl die Frommen, die
an Himmel und Hölle glauben, als auch diejenigen, die den Kirchgang als eine Art Rückversicherung gegen das Unvorhergesehene betrachten. So gesehen stellt der Cargo-Kult keine Absonderlichkeit dar; er ist einfach eine Reaktion auf eine unsichere und sich wandelnde Welt. Die Eingeborenen hatten weder die Erfahrung noch die Fähigkeiten, die Reichtümer zu erlangen, die sie bei den Besuchern aus dem Westen sahen; daher wandten sie sich an ein mythisches Wesen, das sie damit versorgen würde, wenn sie nur daran glaubten. Noch heute betrachten die Inselbewohner den Reichtum des weißen Mannes mit Ehrfurcht.
In den Zeiten vor dem Kontakt mit den Weißen hielten Rivalität und Streitigkeiten die Insel in einem dauernden Kriegszustand. Durch Gewalt und Überredung verhinderten die Europäer offene Kämpfe, haben aber nie Institutionen geschaffen, die die unterschwelligen Feindseligkeiten beseitigt hätten. Zu Beginn der John-Frum-Bewegung traten durch den allgemeinen Eifer die Rivalitäten in den Hintergrund - jedoch nur für kurze Zeit.
Die Eingeborenen im Südwesten der Insel glauben, daß nur eine Rückkehr zur altüberlieferten Lebensweise die goldene Ära herbeiführen werde, die John Frum versprochen hat. Sie räumen jedoch ein, daß gewisse moderne Werkzeuge, wie Äxte und Macheten, beibehalten werden sollten, da sie für ihre Landwirtschaft unentbehrlich geworden sind. Viele dieser Bauern haben aber wieder Penisumhüllungen aus Blättern angelegt. Dieser Schmuck ist ein offenkundiger Ausdruck des Widerstandes gegen die Verwestlichung.
Die vielleicht interessanteste Form des Kults besteht in dem Dorf Ipekel an der Sulfur-Bucht. Der nahe Yasur-Vul- kan ist leicht zugänglich und wird oft von Touristen aufgesucht. Dieser Vulkan hat für die Tannesen besondere Bedeutung, denn die Steine, die um den Vulkankrater verstreut liegen, sollen eine magische Quelle der Weisheit sein. Die Legende behauptet, daß der weiße Mann seine Weisheit aus gestohlenen Yasur-Steinen beziehe. Wie um das zu bestätigen, nahmen die Missionare die Steine weg. Inzwischen hat John Frum sie zurückgebracht, und ein Tourist darf den Vulkan nur unter den wachsamen Augen eines Führers besteigen. Der Vulkan ist für die Eingeborenen auch deshalb wichtig, weil sie glauben, John Frum halte in dem Krater eine Armee von 20000 Mann bereit für den Fall, daß die Amerikaner mit ihren guten Dingen zurückkehren. Dicht bei dem Vulkan erstreckt sich eine Aschenebene; sie wird für die langersehnten amerikanischen Flugzeuge instandgehalten. John Frum soll den Führern der Bewegung in der Sulfur-Bucht alle seine Regeln enthüllt haben. Viele sind aus dem Christentum übernommen. Fluchen, Stehlen und Ehebruch sind streng verboten. Die Hütten müssen immer saubergehalten werden, und der Freitag ist an Stelle des Sonntags zum Ruhetag bestimmt worden. Es darf keine Zusammenarbeit mit der Verwaltung des Kondominiums geben. Zum Symbol der Bewegung wurde ein rotes Kreuz.
Ein Anführer dieses Kults war bei seiner Geburt getauft worden und hatte seine Schulbildung von der presbyteriani- schen Kirche erhalten. Später schloß er sich den Siebenten- Tags-Adventisten an. Nach dieser zusätzlichen Schulung trat er in die Polizei der Kondominium-Verwaltung ein und erreichte in fünf Jahren den Rang eines Sergeanten. Er wurde Adventisten-Missionar auf der Insel Malekula und versuchte, die Nichtchristen zu bekehren. In der Zeit, als er nach Tanna zurückkehrte, setzte gerade die John-Frum-Bewe- gung ein; dieser schloß er sich an und wurde bald einer ihrer Führer. Nach Inhaftierung und Verbannung durfte er schließlich nach Tanna zurückkehren, was er den Amerikanern zu verdanken glaubte. Heute gehört er zu den drei Hauptführem des Sulfur-Bucht-Kults.
Die Führer der Sulfur-Bucht-Bewegung übernahmen den Kult — sei es aus Berechnung oder Überzeugung —, um bei ihren Schülern Ordnung und Zufriedenheit zu sichern. Jeden Freitag kommt eine Abordnung aus allen Dörfern, die diesen Führern Treue gelobt haben, nach Ipekel. Die Gruppen spielen Gitarre, es wird gesungen und getanzt. Die Lieder, die alle von John Frum stammen sollen, wurden von der Tochter eines der Führer den anderen gelehrt.
Der Höhepunkt des Jahres in der Sulfur-Bucht ist der 15. Februar, den John Frum als Tag für die alljährliche Feier bestimmt hat. Die Proben beginnen schon etwa einen Monat vorher, und alle Dörfer führen Tänze und Spiele auf, die oft Neuschöpfungen alter Legenden sind. Die Militärparade ist der Höhepunkt des Festes. Zwischen achtzig und hundert Mann werden unter den Anhängern der Bewegung ausgesucht. Sie ziehen Hosen an und malen sich in hellroter Farbe »USA« auf die Brust. Mit Bambusgewehren, deren rotbemalte Spitzen Bajonette darstellen, exerzieren sie unter Befehl eines Drillsergeanten. Sie hoffen vielleicht, durch diesen Analogiezauber eine Rückkehr der Amerikaner zu bewirken.
Es gibt viele Geschichten, die die John-Frum-Bewegung mit Amerika verknüpfen. Eine Legende aus der Zeit vor der Entstehung des Kults besagt, die ganze Macht der Amerikaner entstamme einem Überfall vor dem Zweiten Weltkrieg, bei dem ein US-Flugzeug in den Yasur-Krater flog. Tief aus dessen Innern sollen die Amerikaner das mächtige Wesen gezogen haben, von dem all ihre Macht komme. John Frum war dafür verantwortlich, daß die Amerikaner im Krieg nach Tanna kamen; er war ein guter Freund eines amerikanischen Vorarbeiters, der auf Tanna arbeitete. Der Vorarbeiter sagte ihnen, sie sollten keine Dinge nehmen, die die Amerikaner zurückließen; er würde ihnen neue schenken. Er soll die gleiche Fähigkeit gehabt haben wie John Frum, nämlich an mehreren Orten zugleich zu sein. In jeder Auseinandersetzung war er auf der Seite der Tannesen. Einige behaupteten, er habe ihnen geraten, ihre Erkennungsmarken zu behalten, denn die Hälfte ihres Lohns werde in Amerika für sie aufbewahrt. Irgendwann in der Zukunft würden sie dieses Geld bekommen können, wenn sie ihre Erkennungsmarken vorwiesen.
Der Cargo-Kult des John Frum besteht nun schon seit über 30 Jahren. Missionare und Regierungsbeamte haben es aufgegeben, gegen ihn anzugehen; sie fangen jetzt an, sich der Situation zu stellen. Ein Wandel kann jedoch nur herbeigeführt werden, wenn man sich um Verständnis für die Mentalität der Tannesen bemüht.

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8.026 Die Bewohner von Pentecost- Neue Hebriden Die Bewohner von Pentecost- Neue Hebriden
Autor/in: Lexikalwissen

Als Ritual, als Mutprobe und als reines Schauspiel ist das »Landtauchen« der Bewohner des Dorfes Bunlap (auf der Pazifikinsel Pentecost) unter den Gebräuchen anderer Inselbewohner der Südsee ohne Parallele. Man kann es vielleicht mit den Fallschirmspringen und dem »Himmelstauchen« vergleichen, das Männer in der westlichen Welt anlockt.

Bunlap liegt auf dem Hang eines steilen Hügels, der im Südosten der zu den Neuen Hebriden gehörenden Insel das Meer überragt. In dem Gebiet gibt es noch 250 melanesi- sche Eingeborene, die noch in der alten überlieferten Art leben, etwa 130 in Bunlap selbst und der Rest in vier Weilern verstreut, die etwa eine Stunde Fußweg entfernt liegen. Obwohl alle Männer über 15 schon Kontakt mit der westlichen Kultur hatten, bilden diese Menschen die letzte lebensfähige Gruppe von Nichtchristen auf der Insel. Die meisten der anderen Eingeborenen wurden in eine der vielen christlichen Sekten assimiliert, die im Pazifikraum üppig gedeihen.
Es gibt eine Legende, die die Anfänge des Landtauchens erklärt. Ein Mann hatte einmal eine Frau, die er mißhandelte. Sie lief ihm mehrmals weg, wurde aber jedesmal wieder eingefangen. Bei einer Gelegenheit stieg sie jedoch auf einen Banyan-Baum. Als der Mann sie erblickte, begann er, ebenfalls den Baum zu erklettern, um sie zu fangen. Ohne daß ihr Mann das wußte, hatte sie Lianen an ihren Knöcheln befestigt. Gerade als er nach ihr griff, um sie zu fangen, sprang sie. Er sah, daß sie unverletzt war, wußte aber nichts von ihrem Trick, sprang nach und kam um.
Der Gedanke des Landtauchens ist während des ganzen Jahres sehr lebendig. So wird ein Landtaucherlied jedesmal gesungen, wenn ein neues Kanu von seinem Bauplatz im Busch ins Meer gezogen wird. Der Gedanke ist besonders bei den kleinen Jungen lebendig, die ständig »Landtauchen« spielen. Sie tauchen im Meer und tun so, als ob sie vom Landtauch türm springen; sie bauen ein bis zweieinhalb Meter hohe Landtauchtürme vollständig mit Sprungplattformen, die man besteigen kann. Nachdem sie die Mädchen eingeladen haben, zu ihrer Ermutigung zu tanzen und zu pfeifen, mimen sie eine Landtauchzeremonie, indem sie jeweils ein Stück Holz von den verschiedenen Plattformen fallen lassen. Ein anderes Mal steigen sie auf die Schultern ihres Vaters und springen herab, wobei der Vater sie wie beim Landtauchen an den Knöcheln festhält.
Der Bau des Landtauchturms wurde durch die Verwendung von Äxten und Macheten, die in den letzten 50 Jahren die Steinwerkzeuge ersetzt haben, revolutioniert. In frühe- 124 ren Zeiten wurde ein hoher, starker Baum, gewöhnlich ein

Banyan, als Turm ausgewählt. Gegen diesen Baum wurde eine Fassade errichtet, die aber nicht über den Wipfel hinausreichte. Der Bau des Turms und der Sprungplattformen erforderte mehr als einen Monat. Neuerdings dauert der Turmbau etwa zwei Wochen und beginnt mit dem Fällen starker Stämme. Diese werden von 15 Männern mit Lianen, die gemeinsam dabei ziehen und dabei singen, zu dem Bauplatz geschleppt. Derjenige Mann, der den Baum fällt, der als senkrechte Hauptstütze dienen soll, hat das Privileg, von der höchsten Plattform zu springen. Er darf diese Ehre jedoch an einen seiner Brüder abtreten.
Sobald die großen Stämme zusammengetragen sind, werden um den zentralen lebenden Baum Löcher gegraben. Dann werden die Stämme, einer nach dem anderen, an ihren Platz gebracht: einige Männer ziehen an Lianen, die oben an dem Stamm befestigt und über einen Ast des Baumes gespannt sind, andere heben den Stamm von unter an, während wieder andere das untere Ende des Stammes in sein Loch senken.Wenn die senkrechten Hauptstämme an ihrem Platz sind, beginnt die Arbeit am Gerüst des Turms. Dieser mißt dreieinhalb Meter im Quadrat und reicht 24 Meter hoch, wobei sich die Form nur wenig ändert. Wenn der Turm über die vertikalen Hauptstützen hinauswächst, werden diesen weitere Stämme aufgesetzt.
Der Bau des Turmkörpers ist — im Unterschied zu dem der Sprungplattform — eine Gemeinschaftsarbeit. Während einige Männer das Baumaterial heranschaffen und zurechtschneiden, leisten andere die Bauarbeiten. Auf dem Bauplatz herrscht immer eine freundliche, gutgelaunte Stimmung, oft wird gesungen, einige Männer tanzen und täuschen vor, daß sie vom Turm springen, fangen sich aber gerade noch, ehe sie fallen. Wenn man bemerkt, daß sich der Turm zu neigen beginnt, wird eine — manchmal 35 Meter lange - Liane um eine der Hauptstützen gebunden. Das andere Ende wird um einen geeigneten Baumstumpf geschlungen und verankert so den Landtauchturm am Hang.
Während der Arbeit an dem Turm kochen die Männer manchmal selbst. Den Frauen ist es verboten, während des Baus in die Nähe des Turms zu kommen. Nach dem Baubeginn hören alle sexuellen Beziehungen auf, bis der Sprung vorbei ist.
Verschiedene Ebenen des Turms werden nach Körperteilen benannt, einer heißt Oberschenkel, ein anderer der Magen, ein weiterer die Brust und so weiter bis zur Gipfelplattform, die der Scheitel genannt wird. Der Bau jeder Sprungplattform ist das Werk desjenigen Mannes oder Knaben, der davon springen will. Gewöhnlich helfen ihm seine Freunde, aber er trägt die Verantwortung. Die Arbeit an den Plattformen beginnt, nachdem der Turmkörper vollendet ist. Die Plattformen werden am Boden gebaut und dann in die gewünschte Höhe gezogen, wo sie knapp einen Meter aus dem Turmkörper hervorragen. Jede wird durch drei dünne Äste von unten gestützt, die nach dem Sprung abbrechen und dadurch helfen sollen, den Stoß aufzufangen. Sobald die Plattform an ihrem Platz ist, wählt jeder Mann zwei Sprunglianen. Jeweils ein Ende wird sicher an der Plattform befestigt, während man das andere herabhängen läßt. Da der Kopf beim Sprung den Boden berühren muß, wenn der Mut bewiesen werden soll, berechnet der Sprungkandidat die Länge der Liane sehr sorgfältig, die überflüssige Länge wird dann abgeschnitten. Die unteren Enden dieser beiden Lianen werden in Streifen geschnitten, die man hängen läßt, bis es Zeit für den Springer wird; dann werden die Lianen heraufgezogen und jede wird um einen Knöchel festgebunden.
Mehrere Tage vor dem Sprung wird die Fläche vor dem Turm von allem Buschwerk gesäubert. Alle Baumstümpfe werden vom Landeplatz entfernt, und der Boden wird weich gemacht, indem man ihn mit Macheten umwühlt. Die Nacht vor dem Sprung verbringen die meisten Männer in der Nähe des Turms, um den Boden nochmals weichzumachen, indem sie alle Erdklumpen bis zu einer Tiefe von 25 Zentimetern zerkleinern. Außerdem bleiben sie auch, um »Giftmänner« daran zu hindern, einen »bösen Gegenstand« in den Boden zu stecken, der den Springern Schaden bringen könnte. Am Morgen des Sprungs gehen alle Männer zu einer rituellen Waschung an das Meer. Nachher reiben sie ihren Körper mit Kokosöl ein. Jeder schmückt sich dann seinem Rang und Geschmack entsprechend mit Blättern. Ein Satz ausgewählter Hauer von Ebern, mit nach außen gedrehten Spitzen aufgereiht, wird um den Hals gehängt.
Kurz bevor der erste Junge springt, beginnen die Männer und Frauen, am Fuß des Turms zu tanzen. Der Tanz ist eine sehr einfache Vor- und Zurückbewegung — drei Schritte nach einer Seite und drei zur anderen. Die Frauen pfeifen zwischen den Zähnen, während die Männer singen. Das Singen wird von periodischen Schreien und Rufen im Gleichtakt begleitet. Wenn sich jemand zum Sprung bereitmacht, steigern sich Tänze und Gesänge, und das Pfeifen wird lauter, um dem Springer Mut zu machen.
Wenn ein Mann zum Sprung bereit ist, trennt er sich von den Tänzern. Er klettert am Turm bis zu seiner Plattform hinauf. Zwei Helfer warten auf ihn, holen die unteren Enden der an der Plattform befestigten Lianen herauf und binden sie sicher um die Knöchel des Springers. Dann tritt er an das Ende seiner Plattform hinaus. Oft sind die Männer in diesem Stadium verängstigt, manchmal zittern sie. Ein Mann kann jedoch zurücktreten, ohne sich schämen zu müssen; ein anderer nimmt schnell seinen Platz ein.
Kurz vor dem Absprung wird es völlig still. Manchmal hält der Springer eine kurze Ansprache, in der er über alles reden kann, was ihn bekümmert. Das können unter anderem Eheschwierigkeiten sein, Probleme mit seinen Schweinen oder eine Krankheit, die jemand herbeigeführt hat, der ihm übel will. Wenn die Rede beendet ist, setzt das Tanzen, Singen und Pfeifen intensiver und begeisterter wieder ein.
Der Springer zieht dann einige Blätter aus seinem Gürtel und wirft sie in den Wind. Wenn ein Mädchen sie aufhebt, bedeutet das, daß sie mit ihm schlafen will.
Zuletzt klatscht der Springer mehrmals über seinem Kopf in die Hände, ballt die Fäuste und zieht die Arme dicht an die Brust. Mit gebeugtem Rücken lehnt er sich dann nach vorne, seine Füße bleiben so lange wie möglich auf der Plattform und stoßen sich erst im letzten Sekundenbruchteil nach vorn ab. Dann stürzt der Springer mit dem Kopf voran auf den Boden zu. Gerade wenn sich sein Kopf der aufgewühlten Erde nähert, spannen sich die Lianen, und die Plattformstützen brechen, während sich der Turm leicht nach vom neigt. All das trägt dazu bei, den Stoß abzufangen. Wenn die Länge der Lianen richtig berechnet wurde, streift der Kopf des Springers nur den Boden, ehe dieser in einem Bogen zurückschwingt. Sobald er ruhig hängt, eilen einige Männer herbei, durchschneiden die Lianen und streifen sie ihm von den Knöcheln. Der triumphierende Anhang des Springers schließt die Frauen seines Klans, aber niemals seine eigene Frau ein, denn wenn sie teilnehmen würde, würde sie jedermann verspotten, sie sei übereifrig, sexuelle Beziehungen zu ihm zu haben.
Manchmal reißen im Augenblick der größten Spannung eine oder sogar beide Lianen, aber nicht ohne den Schock aufzufangen. Manchmal werden Springer leicht verletzt, gewöhnlich durch einen gezerrten Beinmuskel, aber nach einer Massage schließen sie sich schnell den Tänzern für den nächsten Spmng an. Niemand wurde bei einem Landtauchen je ernstlich verletzt. Das Springen dauert den ganzen Tag über an. Nacheinander springen die Männer von immer höheren Ebenen; manche Männer springen mehrmals. Die Erregung steigert sich, bis der letzte Mann von der höchsten Plattform springt.
Nach seinem Sprung tanzen alle auf der Fläche vor dem Turm. Etwa eine Woche nach dem Sprung werden die Lianen, die den Turm verankern, durchschnitten. Der überla- stige Turm fällt nach vorn und reißt alle Stützen heraus. Die Stämme und Äste des Turms werden als Brennholz verwendet, und die Bewohner von Bunlap kehren, durch dieses eindrucksvolle Ritual gestärkt und erfrischt, zu ihrem Alltagsleben zurück.
Die Landtaucher-Zeremonie ist eng mit dem Yams-An- bauzyklus verbunden. Die Eingeborenen glauben, daß das Landtauchen eine gute Yamsemte sichert. Es besteht auch eine direkte Beziehung zwischen der Beschaffenheit der ersten Yams, die zur Erntezeit ausgegraben werden, und der Stärke der Lianen, die für den Sprung um die Knöchel gebunden werden. Beide entsprechen in ähnlicher Weise der Menge von Regen und Sonnenschein, die sie in den vorangegangenen Monaten empfangen haben.

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